The Homelanders, Band 2: The Homelanders - Auf der Flucht (Bd. 2) (German Edition)
gehört aber in Wirklichkeit zu den Bösen. Ich meine, woher soll man wissen, ob man zu den Guten gehört oder nicht?«
Mike antwortete nicht sofort, sondern strich noch eine ganze Weile über seinen Schnauzbart. Dann sagte er: »Sieh es mal so, Armleuchter. Stell dir vor, da sind ein paar Leute, die allean einem dunklen Ort angekettet sind. Es ist stockfinster, und sie taumeln in ihren Ketten herum. Aber irgendwo in der Ferne gibt es ein Licht, und eines Tages fangen die Leute an, miteinander zu reden. Sie sagen: ›Hey, wir haben es satt, in der Dunkelheit zu leben. Warum befreien wir uns nicht von unseren Ketten und machen uns auf zu diesem Licht?‹ Zuerst können sie sich nicht vorstellen, wie sie das anstellen sollen. Also reden sie noch eine Weile darüber und diskutieren und streiten sich sogar. Aber irgendwann gelingt es ihnen, sich zu befreien, und sie gehen los. Vergiss nicht: Da, wo sie sind, ist es noch immer dunkel, und so stolpern sie, stürzen oft und verlaufen sich. Sie haben zum Teil noch immer Ketten an den Füßen. Und es gibt Leute, die sie aufhalten wollen, sehr viele sogar. Denn viele leben gern in der Dunkelheit, wo niemand sehen kann, was sie sind. Viele leben sogar gern in Ketten und möchten andere Menschen ebenfalls in Ketten legen. Aber die Leute, über die wir hier reden – sie gehen weiter, manche schneller, manche langsamer, stolpern noch immer und sind halb blind, halb angekettet, diskutieren noch immer über den richtigen Weg. Aber was auch geschieht, sie bewegen sich weiter auf das Licht zu.«
Mike strich seinen Schnauzbart ein letztes Mal nach unten und hielt ihn dort fest. Ich erkannte das Lächeln in seinen Augen.
Und dann fragte er: »Was meinst du, Armleuchter, wer sind die Guten?«
9
K ARAMBOLAGE
Was meinst du, wer sind die Guten?
Das war die Frage, die mich schon die ganze Zeit verfolgte und quälte. Die Polizisten sind doch die Guten, nicht wahr? Sie versuchen, die Menschen zu beschützen und die Bösen zu verhaften.
Aber jetzt waren sie hier und versuchten, mich zu verhaften!
Sie glaubten, ich hätte einen Mord begangen, hätte meinen Freund Alex umgebracht. Sogar eine Jury von Geschworenen hatte mich für schuldig befunden.
Aber ich konnte mich an nichts erinnern, nicht einmal daran, dass Alex getötet worden war. Woher wusste ich dann, dass ich unschuldig war?
Und genau das war mein Problem.
Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn ich fuhr noch immer mit Höchstgeschwindigkeit durch die Nacht. Um mich herum erzitterte die Luft von all den Sirenen, war erfüllt von wirbelndem Licht. Die Maschine unter mir bebte, fast so, als sei sie lebendig. Es schien, als könne sie sich jeden Augenblick aufbäumen und mich abwerfen, sich meiner Kontrolle entreißen und über den Asphalt rutschen. Ich hielt mich, so gut ich konnte, an dem vibrierenden Lenker fest und zwangdas Motorrad in die Richtung, in die ich wollte. Ich atmete schnell, mein Herz pochte wild und in meinem Magen rumorte die Angst. Die Katastrophe, verheerende Verletzungen, vielleicht sogar der Tod war nur einen einzigen leichtsinnigen Fehler weit entfernt.
Ich sauste eine schwach beleuchtete Geschäftsstraße hinunter, ließ sie in Sekundenschnelle hinter mir und gelangte auf eine breitere, hell erleuchtete Straße. Links das Licht einer Tankstelle, rechts die Scheinwerfer eines Gebrauchtwagengeländes. Und hinter mir vier Polizeiautos! Das erste war mir bereits dicht auf den Fersen und kam mit jeder Sekunde näher. Noch ein Häuserblock, und es würde mich überholen, von der Straße drängen und zu Fall bringen.
Als ich den Kopf hob, sah ich weitere Lichter vor mir. Ein großes Einkaufszentrum mit Leuchtreklamen und einigen Fastfoodläden. Davor war eine Kreuzung – auf die eine kleinere Seitenstraße mündete, die rechts und links im Schatten verschwand. Wenn ich dort abbiegen konnte, würde ich in diese Schatten eintauchen und hätte vielleicht eine winzige Chance, die Streifenwagen abzuhängen.
Aber wie sollte ich bei dieser Geschwindigkeit abbiegen? Ich musste es versuchen.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Tief auf die klopfende, stotternde Maschine hinuntergebeugt, sprach ich ein Stoßgebet. Irgendwas wie: »Bitte, bitte, bitte, lass mich nicht sterben!« Die Augen im schneidenden Fahrtwind zusammengekniffen, schaute ich auf die heranbrausende Kreuzung, wo Licht und Schatten aufeinandertrafen, und hielt den Atem an.
Plötzlich ging noch eine Sirene los und noch mehr rote und blaue
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