The Hood
ein, die er nicht unbedingt zum Überleben benötigt. Er ist ein gesunder junger Mann, schnell wie ein Windhund auf dem offenen Moor. Er kann den großen Blutverlust wegstecken.
Bei der Geschwindigkeit, mit der sie fahren, muss es die Edinburgh Road in die Innenstadt sein. Ich verlasse Easterhouse, denkt er vage. Am Nordende der Umgehungsstraße schwenkt der Krankenwagen so abrupt und heftig nach links zur Einfahrt der Notaufnahme ab, dass er um ein Haar von der Trage rollt. Sie heben ihn aus dem Wagen und rollen ihn dann durch die Türen. Einer der Ärzte entfernt mit einer Schere seine Kleidung und erkundigt sich nach seiner Atmung. Drew ist zu sehr neben der Spur, um irgendwas zu sagen. Der Arzt drückt seinen Kiefer auf, und sie saugen geräuschvoll Blut aus seinem Mund. Er klopft mit seinen Fingern auf Drews nackte Brust, lauscht. Der Arzt beugt sich über sein Gesicht und richtet den weißen Strahl einer Taschenlampe genau in sein Auge.
»Drew?«
Die Krankenschwester hält seinen Kopf, während sie die Maske auf seinen Mund drückt. Sie schließt Beutel mit Flüssigkeiten an. Schläuche laufen hinunter zu seinem Arm.
»Was ist passiert, Drew?«
»Zusammengeschlagen«, krächzt Drew.
Die Gesichter verschwimmen und verblassen. Sie murmeln irgendwas zu ihm. Er fragt, ob seine Mum da ist.
»Wenn er halbwegs stabil ist, sehe ich ihn mir noch mal näher an und kümmere mich um die Gesichtsverletzungen. Rufen Sie den Spezialisten für Gesichtschirurgie.«
Christine liegt schlafend im Bett, als ihr Piepser losgeht. Sie tastet danach, schaltet das kleine Gerät aus.
»Schläfst du?«, flüstert sie ihrem Mann zu.
»Jetzt nicht mehr«, stöhnt er und dreht sich um.
Er ist Zahnarzt, und es ist ein echter Streitpunkt, wenn ihr Piepser ihn nachts weckt. Jetzt ist der Schaden angerichtet. Sie steigt aus dem Bett und ruft vom Flur aus das Krankenhaus an.
»Junger Typ ist aus Easterhouse eingeliefert worden«, sagt der Arzt der Notaufnahme, erstattet Bericht über Drews umfangreiche Verletzungen. Christine hört zu und nickt.
»Dann sollte ich wohl besser kommen«, sagt sie.
Sie wird wegen einer Vielzahl unterschiedlicher Dinge angerufen, von denen manche unkomplizierter sind als andere. In manchen Nächten bleibt sie gleich im Krankenhaus. Sie zieht sich schnell an und schleicht auf Zehenspitzen über zwei schlafende Hunde. Sie kratzt die vereiste Windschutzscheibe frei, dreht den Zündschlüssel und fährt los. Sie fährt um diese Zeit schneller als gewöhnlich, da praktisch kein Verkehr unterwegs ist. Sie benötigt nur zwanzig Minuten.
Sie geht sofort zu Drew, der in einem grünen Kittel auf einem Bett liegt. Die Krankenschwester drückt die Sauerstoffmaske fest auf sein Gesicht. Christine erkennt sofort, dass er in ziemlich schlechter Verfassung ist.
Von Anfang an hat Christine Opfer von Gewalteinwirkung wie ihn gesehen, junge Männer aus schwierigen Verhältnissen und aus sozial benachteiligten Gegenden der Stadt. Sie werden mit großen offenen Wunden im Gesicht eingeliefert, die von Messern, Hieben mit einem Baseballschläger gegen den Kopf oder von einer Machete stammen. Ihre Verletzungen sind schwer, nicht unbedingt lebensgefährlich, aber immer schlimme Entstellungen. Narben wie diese kann keine plastische Chirurgie wegzaubern. An einem typischen Freitag- oder Samstagabend kommt Christine herein und findet einen Jungen wie Drew vor, sitzend, das Gesicht blutverschmiert, der Rücken mit Tätowierungen und älteren, kleineren Narben von Stichverletzungen übersät. Es passiert überall in Glasgow. Als sie noch in Lanarkshire arbeitete, kamen die Leute für gewöhnlich aus Coatbridge, dem raueren Ende der Stadt. Sie rochen nach Alkohol, waren allerdings nicht so betrunken, dass sie nicht mehr wussten, was sie taten. Diese Burschen trinken nicht, um betrunken zu werden.
Sie erinnert sich an einen, der mitten in der Nacht eingeliefert wurde. Er hat eine gewaltige, klaffende Schnittwunde quer über dem Gesicht, vom Mundwinkel bis zum Ohr, erheblich schlimmer als ein senkrechter Schnitt, denn der verschwindet nicht in einer der natürlichen Falten des Gesichts. Eine Mund-Ohr-Narbe verblasst niemals, denkt sie, während sie ihn unter örtlicher Betäubung näht und dann ins Bett legt. Er ist leicht angetrunken bei der Einlieferung, also behält sie ihn noch etwas länger da.
Sie macht am nächsten Tag die Visite und geht dann kurz vor der Besuchszeit noch einmal zu ihm.
»Ich dachte, ich komm besser noch
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