Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
Vom Netzwerk:
muss an den Hotelbesitzer Ma in dem Dorf kurz vor Pingliang denken, an seine Kappe, an sein Lächeln und an seine Warnung vor dem Charakter der Uighuren. Viele Leute haben mich davor gewarnt, nach Xinjiang zu gehen.
    Ich meine ein Flackern in Jakubs Augen zu sehen.
    Mir ist ein bisschen schwindelig. Ich habe Hunger und Durst, und ich würde gern essen und eine Pause machen, aber lieber würde ich erst meinen Begleiter loswerden.
    »Wie viel Geld brauchst du eigentlich pro Tag?«, fragt er unvermittelt und blickt mich von der Seite an.
    »Mal mehr, mal weniger«, sage ich. Ich möchte nicht darüber reden.
    Doch er bleibt hartnäckig. »Wenn du in Hami ankommst, wird alles teurer sein als hier draußen.«
    »Ich versuche zu sparen.«
    Wir laufen eine Weile schweigend nebeneinanderher. Dann höre ich wieder seine Stimme. »Und jetzt? Wie viel Geld hast du bei dir?«
    »Was ist denn das für eine Frage?« Meine Hände schließen sich fester um die Griffe der Kabutze.
    »Wie viel Geld hast du?«
    »Zweihundert Yuan«, sage ich in dem Bewusstsein, dass wir völlig allein sind. In der Ferne sehe ich die flimmernde Silhouette eines Lastwagens näher kommen. Ich beschleunige meine Schritte, die Dünen gleiten an mir vorbei. Es ist heiß, und mir ist schwindelig. Ich blicke auf das GPS: Wir haben heute schon weit über zwanzig Kilometer gemacht, und das fast ohne Pause. Ich wünschte, ich könnte mir einen Ort für mein Zelt suchen. Aber dafür muss erst der merkwürdige Uigure weg.
    Ich höre ihn hinter mir murmeln. Es ist ein monotones, tiefes Geräusch, das sich anhört, als würde er beten. Und es hört nicht auf.
    Nach einer Weile bleibe ich stehen. »Jakub«, presse ich zwischen den Zähnen hervor, »was redest du da? Ich kann kein Uigurisch!«
    »Ich berechne dein Geld.«
    »Was?«
    »Dein Geld! Ich berechne es!«
    »Hör auf damit!«
    Er blickt mich verdutzt an. Dann ist Ruhe. Wir laufen schweigend durch den Nachmittag. Die Schatten sind länger geworden, die Sonne senkt sich über die Wüste und taucht sie in goldenes Licht, und ich frage mich, warum ausgerechnet ich hier draußen an diesen Menschen geraten bin, der mir mit seinen Lederschuhen und seinem stechenden Blick hinterherläuft und mein Geld berechnet.
    Ich will ihn loswerden.
    Ein roter Lastwagen hält an, und zwei Männer springen heraus. Sie klopfen Jakub auf die Schulter und lachen mich an. Was uns hierherverschlagen hat, wollen sie wissen, woher wir einander kennen, was wir vorhaben.
    Jakub lacht gönnerhaft und erklärt ihnen, dass ich sein deutscher Freund sei. Ich ringe mir ein Lächeln ab und hoffe, dass sie ihn mitnehmen.
    Doch sie fahren ohne ihn weiter. Als sie weg sind, dreht er sich zu mir um. »Das waren meine Freunde!«
    »Ich weiß, Jakub.«
    Ich lächle nicht mehr. Ich blicke auf die Straße unter meinen Füßen, versuche das Schwindelgefühl zu unterdrücken und denke an Essen, Trinken und Schlafen. Noch zweitausend Schritte, noch tausend, und ich werde abbiegen und die Kabutze durch das Geröll ziehen, und es wird mir egal sein, was Jakub vorhat. Ich werde ihm sagen, dass er nicht mitkommen kann.
    Ich schiele zu ihm hinüber. Er sieht nicht müde aus, er schwitzt nicht.
    »Deutscher Freund!«, sagt er plötzlich und bleibt stehen. »Es war mir eine Freude, mit dir zu laufen, aber ich muss dich jetzt verlassen.«
    Endlich, denke ich.
    »Ach«, sage ich.
    »Ich warte hier, bis einer meiner Freunde vorbeikommt und mich mitnimmt.«
    »Gut, Jakub. Viel Glück!«
    »Das Glück wirst du brauchen, nicht ich!« Er steckt eine Hand in die Hosentasche und kramt darin herum. »Ich habe eben dein Geld ausgerechnet. Es wird nicht bis nach Hami reichen!«
    Und noch bevor ich sehe, was er aus seiner Tasche holt, weiß ich, dass ich mich gründlich in ihm getäuscht habe.
    »Nein, Jakub!«, rufe ich eilig und wehre mit beiden Händen den Geldschein ab, den er mir geben will. »Bitte, ich kann dein Geld nicht annehmen!«
    Wir diskutieren eine Weile, dann erst kann ich den kleinen Lasterfahrer davon überzeugen, dass mir seine Freundschaft wichtiger ist als das Geld.
    Ich warte mit ihm zusammen auf den nächsten Lkw. Die Fahrer sehen ihn und winken, das Gefährt kommt in einer riesigen Staubwolke zum Stehen, die Tür geht auf.
    »Bis zum nächsten Mal, deutscher Freund«, sagt Jakub, und ich antworte: »Bis zum nächsten Mal, uighurischer Freund.«
    Wir tauschen einen Händedruck und ein Lächeln aus, dann schwingt er sich die Stufen zum Führerhaus hinauf

Weitere Kostenlose Bücher