The Sign Bd. 1 Nur zu deiner Sicherheit
erwartet hatte. Immerhin hatte ich ihr gerade erzählt, dass ihr einziger Sohn, mein Vater, nicht wie gedacht seit fast sechzehn Jahren tot, sondern immer noch am Leben war.
»Ich hab ihr das geglaubt. Sie lag im Sterben. Warum hätte sie mich belügen sollen?«
Grandma goss Kaffee in ihre Tasse und drückte dann einen Schalter am Kühler. Eine weiße Flüssigkeit zog Schlieren unter der Oberfläche des Kaffees.
»Sie sagte mir, er sei am Leben und vielleicht sogar hier in Chicago.« Erwartungsvoll blickte ich zu Grandma. Vielleicht wusste sie es ja längst? Vielleicht hatte sie dieses Geheimnis ebenfalls für sich behalten? Aber wenn ja, warum?
»Nina, Liebes.« Sie nahm einen winzigen Schluck von dem Kaffee. »Er ist auf dem Weg vom Krankenhaus nach Hause ertrunken, in der Nacht, als du geboren wurdest. Ein Transporter hat ihn an der Ecke Wacker und Michigan von der Brücke gedrängt. Sein Leichnam wurde nie gefunden.«
Dieselbe uralte Geschichte, die ich schon unzählige Male gehört hatte. Keine Abweichungen, keine Änderungen. Nur dass Ginnie etwas anderes behauptet hatte.
Grandma fuhr fort: »Sie war definitiv nicht ganz bei sich wegen dieses Unendlichkeitsapparats. Ich kenn mich da nicht besonders aus und ich kann auch immer noch nicht glauben, dass die diese Maschine tatsächlich an jemandem angewendet haben, der nicht den oberen Rängen angehört. Und selbst bei den Höhergestellten« – sie blickte ins Leere, die Stirn in Falten gelegt – »kommt sie nur äußerst selten zum Einsatz. Nur in ganz außergewöhnlichen Fällen, wo es um Einverständniserklärungen oder um ungeklärte Erbschaften oder Ähnliches geht. Es sei denn, die haben nur auf eine halb tote Person vom Unterrang gewartet, an der sie ihre Experimente durchführen konnten.« Sie nahm einen weiteren Schluck Kaffee und verzog das Gesicht, als schmecke er nicht gut.
»Grandma. Sie hat gesagt, er lebt.«
»Nina, die beiden haben sich wirklich sehr geliebt. Wenn Menschen sterben, dann begegnen sie manchmal ihren Lieben, die vor ihnen gegangen sind. Ich bin mir sicher, sie hat tatsächlich an das geglaubt, was sie dir sagte. Wahrscheinlich schien er ihr in dem Moment vollkommen lebendig.«
»Häh?«, machte Grandpa fragend von der Tür her. Er kam auf seiner Krücke angehumpelt. »Wer hat was geglaubt? Wer ist lebendig? Abgesehen von mir.«
»Ach, nichts, alter Mann.« Grandma blickte grimmig auf die gähnende Leere, wo eigentlich seine Prothese hätte sein sollen. »Wie oft muss ich dir denn noch sagen, dass du dein Bein anlegen sollst, bevor du aufstehst? Wenn du weiter so mit dieser Krücke durch die Gegend stampfst, dann machen wir uns bei den Nachbarn unter uns bald sehr beliebt.« Während sie ihn noch beschimpfte, war sie schon dabei, eine Tasse für ihn auszupacken.
»Ginnie hat behauptet, dass mein Vater noch am Leben ist.« Ich ignorierte Grandmas missbilligenden Blick. Ich schenkte ihren Erklärungsversuchen keinen Glauben – und ich brauchte jemanden, der mich in meiner Annahme bestätigte. Ich hoffte nur, dass Grandpa stärker war, als er wirkte. Ginnie hatte sicher einen triftigen Grund gehabt, weshalb sie über meinen Vater Stillschweigen bewahrt hatte. Und ich war entschlossen, herauszufinden, was für ein Grund das war.
Grandma räusperte sich lautstark und ging wieder daran, die Kiste mit dem Geschirr auszupacken.
»Alan soll am Leben sein? Das würde mich kein bisschen überraschen, meine Kleine.« Grandpa kicherte in sich hinein. Er nahm einen Schluck von dem Kaffee, den Grandma ihm in die Hand gedrückt hatte, und versuchte, ihr mit der Krücke im Vorbeigehen den Po zu tätscheln. Doch leider verlor er dabei das Gleichgewicht und wäre beinahe hingefallen. Ich musste mir das Lachen verkneifen.
Sie drehte sich um und Grandpa hielt mit einem unschuldigen Lächeln seine Tasse hoch. »Der beste Java-Kaffee der Welt.«
»Der kommt direkt aus dem Kochcenter, hab nicht ich gemacht«, schnauzte sie zurück, doch die Spur eines Lächelns umspielte ihre Mundwinkel. Dann runzelte sie erneut die Stirn. »Nun, und du untersteh dich, Nina zu erzählen, dass Alan noch lebt.« Ihre Stimme wurde ganz schwach. »Du weißt so gut wie ich, dass er nicht mehr da ist.«
Grandpa stellte die Tasse ab und setzte sich. »Ich weiß, was sie uns damals erzählt haben, Edith. Ich weiß aber genauso gut, dass er allen Grund hatte, zu leben – für Nina zum Beispiel.« Er tätschelte mir die Hand. »Und ich weiß auch, dass er schwimmen
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