The Sign Bd. 1 Nur zu deiner Sicherheit
das Mitgefühl in seinen Augen war nicht zu übersehen. Ich hatte plötzlich einen Kloß im Hals und brachte keinen Ton hervor. Wahrscheinlich wäre ich zusammengebrochen, hätte ich zu sprechen versucht. Er nahm ein Foto von Ginnie in die Hand, das neben Dees Bett stand. »Ist das deine Mom? Sie ist wunderschön.«
Ich hätte ihm am liebsten das Foto aus der Hand gerissen und ihn angebrüllt, er solle bloß die Finger von dem Bild lassen. »Ja, das ist sie, und mir geht es gut.« Ich griff nach dem Bilderrahmen und berührte dabei aus Versehen Sals Hand. Unsere Augen trafen sich, und wie ein paar Kinder, die spielen, wer den anderen länger anschauen kann, wollte keiner von uns beiden den Blick abwenden. Was als Konfrontation begonnen hatte, verwandelte sich jetzt jedenfalls in etwas, das ich noch nie erlebt hatte. Ich wollte wegsehen, doch irgendetwas tief in mir drin wollte, dass das, was hier gerade vor sich ging, niemals endete. Da platzte Mike dazwischen.
»Haltet ihr Händchen?« Durchtrieben grinste er mich an. »Ihr seid mir ja zwei Turteltäubchen …«
»Kotz, bestimmt nicht.« Ich ließ Sals Hand los, als handelte es sich dabei um eine Wasserratte. Dann schnappte ich mir das Foto.
Derek sah mich stirnrunzelnd an. Ich drückte das Bild an meine Brust und wünschte mir, alles Wissen, das Ginnie je über Jungs besessen hatte, würde aus dem Bild raus in mich reinströmen. Wir hatten uns nie über Jungs unterhalten. Ich hatte immer darauf bestanden, dass ich noch nicht bereit sei, jedes Mal wenn sie versuchte, das Thema anzuschneiden. Ich drückte das Foto noch fester an mich.
»Fast hätte ich’s vergessen.« Mike zog einen Schokoriegel aus der Tasche. »Wollt ihr was davon? Das ist einer von denen mit zweiundsiebzig Prozent.«
»Woher hast du denn so viele Kreditpunkte, um dir den leisten zu können?«, erkundigte sich Derek.
»Mom hat mir was zugesteckt, nachdem mein Dad für eines dieser komischen Experimente bezahlt wurde.«
War ja klar, dachte ich. Sein Dad wäre nie im Leben so nett zu ihm gewesen. Früher hat er Mike immer verprügelt, aber als der ihm über den Kopf wuchs, hörte er damit auf.
Wir teilten die Schokolade unter uns auf und die folgenden paar Minuten war nichts anderes zu hören als ein genussvolles Mmmmm.
»Lasst uns zu Jacksons gehen und nach den Neuerscheinungen sehen«, schlug Derek vor.
»Ich bin gleich fertig.« Mit diesen Worten scheuchte ich sie aus dem Zimmer. Das Babybuch musste eben noch ein Weilchen warten. »Mom«, flüsterte ich dem Foto zu. »Du fehlst mir so sehr.« Ich küsste ihr lächelndes Gesicht und stellte das Bild zurück an seinen Platz, wobei ich die Tränen hinunterschluckte, die sich in diesem Moment Bahn zu brechen versuchten. Doch schließlich fand ich diesen einen Punkt in mir, an dem es keine Emotionen zu geben schien, und ich war bereit, zu meinen Freunden zu gehen.
***
Nachdem wir den Fluss überquert hatten, konzentrierten Derek und Mike sich auf die Werbespots. Das hätte ich wohl auch tun sollen, denn als Alternative blieb mir nur, mich mit Sal zu unterhalten.
»Mike hat mir erzählt, dass dein Dad schon vor langer Zeit gestorben ist«, sagte er. »Hast du ihn denn nie kennengelernt?«
»Nein.« Ich hegte die leise Hoffnung, dass eher einsilbige Antworten ein Gespräch im Keim erstickten. Doch ich hatte nicht mit seiner Hartnäckigkeit gerechnet, ebenso wenig wie mit dem lächerlichen Drang, den ich in mir spürte, seine Stimme zu hören.
»Grandma und Grandpa, waren das seine Eltern oder die von deiner Mom?«
»Seine.«
»Mike hat mir das mit Grandpas Bein erzählt. Was ist ihm zugestoßen?«
Um diese Frage zu beantworten, bedürfte es mindestens mehrerer Sätze. Ich würde mich kurz fassen. »Er hat als Mechaniker am Weltraumfahrstuhl ›Beyond Atmosphere‹ am Cape gearbeitet. Während eines Tests gab es eine Explosion; zwei Männer wurden getötet. Grandpa hat dabei sein Bein verloren. Und einer seiner Freunde hat sogar beide Beine sowie ein Auge eingebüßt.«
»Das ist ja fürchterlich.« Ich spürte, wie Sal sich schüttelte. Ich hatte ja gar nicht bemerkt, dass wir so nah nebeneinanderstanden. Ich neigte immer dazu, gegen Leute zu stoßen, neben denen ich herging; Ginnie war genauso gewesen. Ich ging weiter rechts und ließ reichlich Abstand zwischen uns. Falls Sal etwas bemerkt hatte, so ließ er sich das nicht anmerken.
»Und wie sieht es mit einer bionischen Prothese aus? Die sind doch inzwischen gang und gäbe, oder
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