The Stand. Das letze Gefecht
ihn aus der Höhe herunterstoßen. Oder einen Stein nehmen. Oder ein Messer. Oder eine Pistole.
Keine Sorge. Stu.
Wenn Harold so etwas tat, wäre er in Boulder erledigt. Und was konnte er dann machen?
Aber Fran wußte, was dann. Sie wußte nicht, ob Harold der Typ Mensch war, den sie sich ausgemalt hatte - noch nicht, nicht mit Bestimmtheit -, aber sie wußte tief in ihrem Herzen, daß es heute einen Platz für solche Menschen gab. O ja, wahrhaftiglich. Sie schnallte den Rucksack mit eckigen Bewegungen auf und ging zur Tür hinaus. Drei Minuten später radelte sie im hellen Nachmittagssonnenschein den Broadway entlang Richtung Arapahoe und dachte: Sie sitzen ganz bestimmt in Harolds Wohnzimmer, trinken Kaffee und reden über Mutter Abagail, und alles ist prima. Einfach prima.
Aber Harolds Haus war dunkel, verlassen... und abgeschlossen. Das an sich war in Boulder schon seltsam. Früher schloß man das Haus ab, damit niemand den Fernseher, die Juwelen der Frau oder die Stereo-Anlage stahl. Aber Fernseher und Stereo-Anlagen gab es umsonst, wenn man ohne Saft auch nichts mit ihnen anfangen konnte, und was Juwelen betraf, so konnte man jederzeit nach Denver fahren und sich einen Sack voll holen.
Warum schließt du deine Tür ab, Harold, wo alles umsonst ist? Weil niemand so viel Angst vor einem Einbruch hat wie ein Dieb? Könnte es das sein?
Sie war kein Schloßknacker. Sie hatte sich schon damit abgefunden, unverrichteter Dinge zu gehen, als ihr die Kellerfenster einfielen. Sie lagen dicht über dem Erdboden und waren staubblind. Das erste, das sie probierte, ließ sich seitlich aufschieben, gab quietschend nach; Dreck rieselte auf den Kellerboden.
Fran sah sich um, aber die Welt war still. Außer Harold hatte sich noch niemand an diesem entlegenen Ende der Arapahoe Street niedergelassen. Auch das war seltsam. Harold mochte lächeln, bis ihm das Gesicht platzte, den Leuten auf die Schultern klopfen, den Tag mit ihnen verbringen und ihnen seine Hilfe anbieten, wenn er darum gebeten wurde, und manchmal auch, wenn nicht; er mochte und konnte sich noch so beliebt machen - und Tatsache war, daß er in Boulder hohes Ansehen genoß. Aber wo er seinen Wohnort gewählt hatte... das stand wieder auf einem anderen Blatt, richtig?
Das zeigte eine etwas andere Ansicht Harolds über die Gesellschaft und seinen Platz darin... vielleicht. Vielleicht gefiel ihm auch einfach nur die Stille.
Sie zwängte sich durch das Fenster, wobei sie sich die Bluse schmutzig machte, und sprang auf den Boden. Jetzt war das Fenster in Augenhöhe. Sie war genausowenig Sportlerin wie Schloßknackerin und würde sich auf etwas stellen müssen, wenn sie wieder hinauswollte.
Fran sah sich um. Der Keller war zu einem Spiel- oder Hobbyraum ausgebaut. So etwas hat ihr Daddy immer gewollt, war aber nie dazu gekommen, dachte sie mit einem Anflug von Traurigkeit. In die mit Fichtenholz getäfelten Wände waren Quadrophonie-Lautsprecher eingelassen, die Decke war mit Holz verkleidet, sie sah einen Kasten mit Puzzlespielen und Büchern, eine elektrische Eisenbahn, eine Autorennbahn. In einer Ecke stand ein Tischhockeyspiel, auf das Harold achtlos eine Kiste Cola gestellt hatte. Es war ein Kinderzimmer gewesen, an den Wänden hingen Poster - das größte - mittlerweile alt und zerrissen - zeigte George Bush, der mit hoch erhobenen Händen und einem breiten Grinsen im Gesicht aus einer Kirche in Harlem herauskam. Die Legende, in großen roten Buchstaben, lautete: MAN KOMMT DEM KING OF ROCK AND ROLL NICHT MIT BOOGIE -WOOGIE DAHER!
Plötzlich war sie traurig wie... nun, wie schon lange nicht mehr, um ehrlich zu sein. Sie hatte Schock und Angst und regelrechtes Entsetzen erlebt und war vor Kummer wie betäubt gewesen, aber diese tiefe und quälende Traurigkeit war etwas Neues. Mit ihr kam ein plötzliches Heimweh nach Ogunquit, nach dem Meer, nach dem schönen Maine mit seinen Hügeln und Tannenwäldern. Ohne ersichtlichen Grund mußte sie plötzlich an Gus denken, den Wachmann auf dem öffentlichen Strandparkplatz von Ogunquit, und einen Moment dachte sie, ihr Herz würde vor Kummer und Verlust zerspringen. Was hatte sie hier zwischen den Ebenen und den Bergen, die das Land durchteilten, verloren? Es war nicht ihre Heimat. Sie gehörte nicht hierher.
Sie schluchzte, und es hörte sich so verzweifelt und einsam an, dass sie sich zum zweiten Mal an diesem Tag die Hände vor den Mund schlug. Schluß, frannte, altes Mädchen. Über etwas so Großes kommt man
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