The Weepers - Wenn die Nacht Augen hat: Band 2 - Roman (German Edition)
drehte ich mich um. Die Überraschung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Ich trat vor und legte die Arme um ihn – zum einen, weil ich nun doch etwas schüchtern geworden war, zum anderen, weil ich seine Nähe spüren wollte. Joshua umarmte mich. Ich hob den Kopf. Meine Haut war unerträglich heiß. Beim Blick in Joshuas Augen jagte ein Prickeln durch meinen Körper. Unsere Lippen trafen sich, ich drückte mich an ihn, und er hielt mich noch fester.
Dieser Kuss hätte ewig dauern können. Unsere Zeit lief ab, der Tod war uns auf den Fersen. Und doch gab es so vieles, was ich noch tun wollte.
Joshua löste sich von mir, bis seine Lippen nur Zentimeter von meinen entfernt waren. Als ich ihn wieder an mich ziehen wollte, sträubte er sich dagegen. Da spürte ich Salz auf den Lippen und begriff, dass ich weinte. Seine warmen Hände berührten meine Wangen. Das Verlangen in seinen Augen verwandelte sich in zärtliche Besorgnis.
»Tut mir leid«, murmelte ich. Ich kam mir so blöd vor, weil ich unseren Kuss durch meine Tränen ruiniert hatte.
Joshua küsste mich auf die Nasenspitze. »Muss es nicht.« Er lächelte verschmitzt. »Außerdem bin ich jetzt an der Reihe«, sagte er und zog sich das Hemd über den Kopf. »Du darfst ruhig zusehen, das macht mir nichts aus.«
Meine Wangen brannten. »Hoffentlich ist das Wasser noch kalt«, sagte ich.
Er kicherte. »Ich glaube, du musst dich nochmal abwaschen.«
Ich sah an mir herab. Seine Umarmung hatte eindeutige Schmutzspuren auf mir hinterlassen.
Er hob den Eimer über unsere Köpfe. Das Wasser fiel auf uns herab. Joshua lachte, als ich erneut quiekte. Wir kicherten unter dieser behelfsmäßigen Dusche – ein flüch tiger Augenblick des Glücks. Diese Momente, die Küsse und Blicke, die sanften Berührungen und liebe vollen Worte machten dieses Leben erträglich. Mit Joshua an meiner Seite hatte ich Hoffnung, dass sich noch alles zum Guten wenden würde – hatte ich Hoffnung auf ein anderes Leben.
Ich fuhr mit den Fingern durch das Gras. Die Halme kitzelten auf meiner Haut.
Das Gelächter um mich herum übertönte das Muhen der Kühe, das Gezwitscher der Vögel und das Rascheln der Bäume.
»Ich bin so froh, dass die beiden so gut miteinander auskommen. Emma war schon lange nicht mehr so glücklich und sorglos.«
Ich blinzelte zu Marie auf, die sich neben mir niederließ. Mia und Emma waren gerade damit beschäftigt, herauszufinden, wer sich länger im Kreis drehen konnte. Mia war drei Jahre älter als Maries Tochter. Trotzdem waren sie unzertrennlich.
»Mia ist wieder Kind. Im Bunker wirkte sie so erwachsen. Das hab ich in ihren Augen gesehen«, sagte ich.
»Sie bekommen mehr mit, als wir denken. Und sie müssen mehr durchmachen, als es für Kinder in ihrem Alter gut ist.«
Mia taumelte auf die Mauer zu, die das Weingut umgab. Die schweren Trauben zogen die Weinranken, die sich an die Steine klammerten, nach unten. Mia riss eine Traube ab, steckte sie sich in den Mund und verzog das Gesicht. »Die schmecken aber komisch!« Sie spuckte sie aus, und dann brachen sie und Emma erneut in Gelächter aus.
Sieben
Alexis führte die Gruppe an. Wir kamen an verlassenen Motels und vergilbten Schildern vorbei, die Shrimpcock tails für zwei Dollar oder ein Mega-Buffet für zehn an priesen. Alexis hatte die Jeans hochgekrempelt, sodass ihre schwarzen Lederstiefel und die grellroten Narben auf der Haut darüber zum Vorschein kamen. Sie bemerkte, dass ich sie anstarrte.
»Das sind Brandwunden«, sagte sie und ging lang samer, damit wir zu ihr aufholen konnten.
»Woher hast du die?«, fragte Joshua und wischte sich den Schweiß aus den Augenbrauen. Obwohl die Sonne noch nicht aufgegangen war, war es bereits drückend heiß.
Einen Augenblick lang verdüsterte sich ihre Miene. »Bevor ich zu den Undergrounders stieß, lebte ich mit ein paar anderen Kids in einem verlassenen Motel kurz vor der Stadt. Dieser eine Junge, Jack, war unvorsichtig. Eine Militärpatrouille hat ihn entdeckt, als er auf der Suche nach Essen durch die Stadt gestreift ist. Er war erst neun. Es war nicht seine Schuld.« Ihre Stimme zitterte, und da wusste ich, dass Jack seinen zehnten Geburtstag nicht erlebt hatte. »Sie sind ihm gefolgt und haben das Motel niedergebrannt. Ich glaube nicht, dass sie uns töten wollten. Es war ihnen einfach egal. Sie wollten uns nur wie die Ratten ausräuchern. Ich bin als einzige da vongekommen. Ich kann mich nicht mal erinnern, wie ich das geschafft habe.
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