The Weepers - Wenn die Nacht Augen hat: Band 2 - Roman (German Edition)
»Ich bin müde.«
Joshua legte einen Arm um meine Hüfte und wollte mich stützen, doch ich spürte meine Beine nicht mehr. Die Taubheit erfasste meine Arme, bis sie nutzlos an mir herabhingen. Mein Körper war so schlaff wie ein Mehlsack.
Joshua hob mich auf. Mein Kopf rollte gegen seine Brust. »Sherry, was zum Teufel gibt es da zu grinsen?«
Ich versuchte, den Kopf zu heben, um ihm ins Gesicht zu sehen, doch meine Muskeln wollten mir nicht gehorchen. »Weißt du noch, wie du mich zum ersten Mal getragen hast?« Ich konnte nur noch undeutlich sprechen.
Plötzlich stöhnte Joshua auf. Ich versuchte mich zu konzentrieren. Mein Blick wanderte den schwarzen Stoff seines Ärmels hinauf. Er hatte ebenfalls einen Pfeil abbekommen.
Joshua grunzte. Ich wollte mich erkundigen, ob alles in Ordnung war, doch meine Lippen waren wie versiegelt. Ohne mich loszulassen sank er zu Boden. Durch den grauen Schleier vor meinen Augen war sein Gesicht kaum noch zu erkennen. Er sah mich besorgt an.
»Tut mir leid, Sherry«, sagte er, als er mich auf dem Boden ablegte.
Er hob die Pistole und schoss. Pulverdampf stieg mir in die Nase, und ich drehte den Kopf zur Seite. Vier Soldaten mit gezückten Waffen kamen auf uns zu. Hinter ihnen huschten Schatten hin und her. Kreaturen mit klauenartigen Händen, haarigen Gesichtern und leblosen Augen.
Weepers.
»Warum warst du auf meinem Bett?«, fragte Joshua.
»Du hattest einen Albtraum.«
Jetzt verstand er. Er wandte sich verschämt ab.
»Ich habe von dem Bunker geträumt, in dem ich war … mit meiner Familie.«
Ich befeuchtete die Lippen mit der Zunge. »Wo ist deine Familie jetzt?«
Joshua fuhr mit der Messerklinge über seine Handfläche. Als er aufsah, versetzte mir sein Gesichtsausdruck einen Stich ins Herz.
»Sie sind gestorben«, sagte er tonlos, doch ich konnte den Schmerz in seinen Augen sehen.
»Das tut mir leid.«
Joshua nickte.
»Du … du hast nach Zoe gerufen.«
Joshua drehte sich um und ließ sich gegen die Wand sinken. »Zoe ist …«, er hielt inne, »Zoe war meine Schwester.« Er schluckte und schloss die Augen.
Wieder sah er so verloren aus. Ich kroch zu ihm hinüber, setzte mich neben ihn, nahm seine Hand und drückte sie. Er legte den Kopf in den Nacken, bis er die Wand berührte.
»Wurde deine Familie von … ihnen getötet?«
Er atmete lang und tief aus, dann sah er mich aus halbgeschlos senen Augen an. »Meine Schwester, ja. Meine Mutter …« Er schüt telte den Kopf und schloss ganz fest die Augen, als wollte er ein schreckliches Bild aus seinem Kopf vertreiben. »Was mit meinem Vater passiert ist, weiß ich nicht. Er war beim Militär. Er hätte uns abholen sollen, nachdem die Situation unter Kontrolle war. Ich habe ihn nie wieder gesehen.«
Ich blinzelte, um gegen die Tränen anzukämpfen. Schweigen senkte sich über den Raum. Die Luft war stickig. Erdrückend. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Sag was. Irgendwas.
Zehn
Ein stechender Gestank umgab mich. Essig und Desinfektionsmittel. Grandma hatte immer die Fenster mit Apfel essig geputzt. Sie war felsenfest davon überzeugt gewesen, dass Essig besser war als jeder industriell hergestellte Reiniger. Ich hasste den Geruch.
Zu meiner Linken klickte es. Ein Weeper? Nein, dafür war der Ton zu rhythmisch und das Geräusch kam auch nicht näher.
Ich wollte sehen, wo ich war, wollte heraus aus der Finsternis. Meine Augenlider ließen sich nicht öffnen. Ich konnte meine Beine nicht spüren. Irgendetwas hielt meine Arme fest.
Panik schnürte mir die Kehle zusammen. Was war mit mir geschehen? Ich konzentrierte mich auf meine Beine und Füße, versuchte, sie zu spüren.
Reiß dich zusammen, Sherry.
Ein Kribbeln erfasste meine Zehen und breitete sich auf meine Waden aus. Plötzlich erinnerte ich mich – die Jagd durch den Wald, die Betäubungspfeile. Das Narkosemittel ließ offenbar langsam nach. Wie lange war ich bewusstlos gewesen? Was hatten sie mit mir gemacht? Wo war Joshua?
Ich zwang meine Augen auf. Es fühlte sich an, als würden mir die Lider mit einem Schälmesser abgezogen. Tränen schossen mir in die Augen, und der Schmerz wurde stärker.
Ich blinzelte ganz langsam. Mein Blick war verschwom men, und ich sah nur einen hellen Schein, der in meinen Augen brannte.
Zentimeter für Zentimeter drehte ich den Kopf. Eine Ewigkeit verging, bis ich begriff, dass ich in einem Laborraum war. Der Metalltisch, an dem ich festgeschnallt war, hätte auch gut in einen Operationssaal gepasst.
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