The Weepers - Wenn die Nacht Augen hat: Band 2 - Roman (German Edition)
Braune Ledergurte umschlossen meine Handgelenke. Ein Tropf hing an meinem Arm. Ich hob den Kopf. Der durchsichtige Plastikbeutel am Ende des Schlauchs war mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt.
Ich kämpfte gegen die Fesseln an, doch sie bewegten sich keinen Millimeter. Dann hörte ich ein Stöhnen. Joshua und Tyler lagen auf weiteren Tischen neben mir.
Tyler regte sich nicht. Von hier aus konnte ich nicht erkennen, ob er noch atmete. Joshuas Augen waren geschlossen, doch ich bemerkte eine Bewegung hinter den Lidern.
»Joshua?«, flüsterte ich.
Er stöhnte noch einmal. Blut sickerte aus dem weißen Verband um seine linke Schulter.
»Joshua?« Ich hob meine Stimme.
Er öffnete die Augen, kniff sie jedoch sofort wieder zusammen. Ich wollte nach seiner Hand greifen, kam aber nicht gegen meine Fesseln an.
Einen Augenblick später versuchte er es erneut. Diesmal konnte er die Lider offen halten. Er blinzelte. Tränen sammelten sich in seinen roten, entzündeten Augen.
Mit einem dumpfen Knurren drehte Joshua den Kopf, bis sich unsere Blicke trafen. Seine Lippen waren rissig. Blutstropfen waren auf seinem Kinn getrocknet. »Bist du verletzt?«
Als ich den Kopf schüttelte, fuhr ein stechender Schmerz in meine Schläfen. »Nein. Was ist mit deiner Schulter?«
»Sie …« Er schluckte. »Sie haben mich angegriffen.«
»Haben sie dich angeschossen?« Vielleicht waren ihre Waffen ja nicht ausschließlich mit Betäubungspfeilen geladen gewesen.
Joshua riss an den Gurten, die seine Hände an seine Seiten fesselten. »Nein. Sie haben ihre Weepers auf mich losgelassen.«
Jetzt erinnerte ich mich an die umherhuschenden Schat ten, an die rasiermesserscharfen Klauen, die leeren Augen. Ich war erleichtert, dass nur Joshua gebissen worden war. Wir wussten ja bereits, dass er gegen die Tollwut im mun war.
»Einer der Soldaten befahl einem Weeper, mich anzugreifen«, sagte er. »Er war wie ein Roboter. Er verbiss sich in meiner Schulter, und ich dachte schon, er würde mich umbringen. Normalerweise hören sie nicht mehr auf, wenn sie einmal Blut geschmeckt haben. Aber dieser ließ von mir ab. Die Soldaten können die Weepers kontrollieren. Deshalb auch die Halsbänder. Wir haben uns geirrt. Sie halten die Weepers nicht gefangen, um sie zu studieren. Sie wollen Soldaten aus ihnen machen.«
Furcht erfasste mich. Das war schlimmer als in unseren schlimmsten Albträumen.
Joshua drehte erneut den Kopf zu mir. Seine Miene war so ernst, dass es mir kalt den Rücken hinunterlief. »Ich hatte keine Munition mehr«, sagte er. »Ich konnte sie unmöglich aufhalten. Als ich das Bewusstsein verlor, war ich mir sicher, dass ich nie wieder aufwachen würde. Ich machte mir Vorwürfe, weil ich dich nicht beschützen konnte. Weil ich zugelassen habe, dass sie dir wehtun.«
Ich zerrte an dem Gurt um meine Hand. »Du musst dir nichts vorwerfen. Wir sind gemeinsam hier gelandet, und gemeinsam werden wir auch von hier verschwin den.«
»Aber wie? Wir sind gefesselt und haben keine Waffen.« Er sah zu Tyler hinüber. »Wie geht’s ihm?«
»Keine Ahnung. Er hat sich noch nicht bewegt. Ist er …« Ich schluckte. »Atmet er?«
Joshua starrte weiter Tyler an. »Er atmet, ist aber immer noch k.o.«
»Ist vielleicht besser so«, sagte ich. »Wenn er rausfindet, dass er wieder in einem Labor gelandet ist, wird er durchdrehen.«
Joshua verzog das Gesicht. »Dann los«, sagte er entschlossen. »Wir müssen abhauen, bevor sie zurückkommen. Versuch dich zu befreien.«
Die Ledergurte waren zu fest um meine Handgelenke gezurrt. Ich konnte sie unmöglich abschütteln. Die um meine Fußknöchel saßen noch enger. Das erklärte auch das seltsame Kribbeln in meinen Zehen.
»Die Gurte sitzen zu fest.« Obwohl meine Haut schweißnass war, gelang es mir nicht, aus den Fesseln zu schlüpfen.
»Meine auch.«
Plötzlich klickte ein Schloss.
Mir stellten sich die Nackenhaare auf. Drei Männer in Laborkitteln betraten den Raum. Sie unterhielten sich angeregt mit gedämpfter Stimme und schenkten uns keine Beachtung. Dann keuchte einer von ihnen leise auf.
Ich drehte mich um. Der Mann in der Mitte war eine ältere Ausgabe von Joshua. Dieselben blauen Augen, dasselbe blonde Haar, dieselben hohen Wangenknochen. Ich hatte sein Gesicht schon einmal gesehen – auf dem Foto bei den Undergrounders. Es war Joshuas Dad.
Er starrte Joshua an, als hätte er ein Gespenst gesehen.
»Kennst du den?«, fragte einer der Wissenschaftler. Er zog die buschigen
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