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Themba

Themba

Titel: Themba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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da ist es mit meiner Beherrschung endgültig vorbei. Mit all der Wut, die sich in mir so lange aufgestaut hat, trete ich ihm gegen das Schienbein und versuche nun meinerseits, einen Faustschlag in seinem Gesicht zu landen. Der Tritt sitzt. Aber nach einem kurzen, beinah verwunderten Aufschrei fängt er meine Faust professionell ab und landet dafür einen vollen Treffer in meiner Magengrube. Ich kippe vornüber, da setzt er mit einem Kinnhaken nach, der mich zu Boden gehen lässt. Ich habe geahnt, dass Onkel Luthando deutlich stärker ist als ich. Dass er ein ziemlich erfahrener Schläger sein muss, merke ich erst jetzt.
    »Willst du noch mehr, Großmaul?«, fragt er drohend und von oben herab, als ich vor ihm auf dem Boden liege.
    Ich gebe keine Antwort, aber schaue ihm immerhin direkt in die Augen. Für einen weiteren Moment verharren wir beide in dieser Position, dann gibt er mir einen laschen Tritt in die Seite und meint: »Wenn du kein Theater machst, können wir es hier gut zusammen aushalten, bis eure Mutter zurück ist. Wenn doch, werde ich dir beibringen müssen, was bisher versäumt wurde.« Er macht schließlich einen Schritt zurück und lässt mich aufstehen. Dann hebt er in aller Gemütsruhe die Orange auf, die während des Schlagabtauschs zu Boden gefallen ist, zieht sein Taschenmesser heraus und beginnt, die Schale in gleichmäßigen Streifen abzulösen, ohne mich weiter zu beachten.
    Mit einem feuchten Tuch wische ich mir das Blut vom Gesicht. Meine Nase ist angeschwollen und einer meiner Schneidezähne ist etwas lose, aber zum Glück nicht abgebrochen. Ich spüre kaum körperliche Schmerzen. Die Erniedrigung tut viel mehr weh. Nur weil er körperlich stärker ist, kann er sich so aufspielen. Solange Mutter hier war, hat er von dieser Überlegenheit niemals Gebrauch gemacht, auch nicht ihr gegenüber. Diese Zurückhaltung hat er nun sichtlich aufgegeben. Dabei bin ich in keiner Weise um mich selbst besorgt. Vielmehr finde ich einen anderen Gedanken so unerträglich, dass ich ihn noch kaum zulassen kann: Wie in aller Welt soll ich jemals Nomtha vor ihm beschützen?
    Niemand weiß, wie er sich in den nächsten Wochen auch ihr gegenüber noch aufführen wird. Nomtha zu beschützen, ist das Wichtigste, was ich mir vorgenommen habe, bis Mutter zurückkommt. Nomtha, Nomtha... Für den Augenblick bin ich froh, dass sie diese Szene mit Onkel Luthando nicht miterlebt hat. Um jeden Preis der Welt möchte ich, dass sie sich bei mir weiterhin sicher fühlen kann.
    Wenig später verlässt Onkel Luthando das Haus. Wie ich durch einen Spalt im Fenster erkennen kann, schlägt er den Weg zu Tatomkhulus Hütte ein. Kaum ist er außer Sicht, nehme ich die Tüte mit dem restlichen Proviant, verstecke eine weitere Orange und ein Brot für Nomtha in einem der Töpfe und laufe, ohne anzuhalten, den ganzen Weg bis hin zu Siphos Haus.
    Als ich dort völlig außer Atem ankomme, haben die anderen Jungen schon angefangen zu trainieren.
    » Molo , Themba!«, rufen mehrere.
    Sipho unterbricht sein Kopfballtraining und läuft auf mich zu. Er hat sofort gemerkt, dass etwas geschehen ist, und legt fragend eine Hand auf meine Schulter.
    » Ingxaki, bra - Ärger gehabt?«
    Ich nicke. »Ich erzähl’s dir später, ja?«
    Dann entdecken die anderen, dass in der durchsichtigen Plastiktüte Brote und Orangen sind, wenn auch längst nicht mehr genug für alle. Trotzdem wird brüderlich geteilt, sodass jeder ein Stück bekommt.
    »Ist alles von Andys Mutter«, erkläre ich und lächle Andy zu, der viel zu bescheiden ist, es selbst zu sagen.
    Andy lacht freundlich. »Deswegen hättest du aber nicht so zu rennen brauchen, dass du auf die Nase fällst.«
    Ich lache mit und niemand fragt nach.
    Wir ziehen das Training und das anschließende Spiel durch wie sonst auch. Außer Sipho merkt niemand, was mit mir los ist. Am Ende verabschieden wir uns mit unserem afrikanischen Handschlag, zuletzt Daumen an Daumen. Andy fragt, ob ich ihn ein Stück begleiten möchte, was nur ein kleiner Umweg ist, aber heute lehne ich ab: »Ich muss noch was mit Sipho besprechen, aber bitte richte deiner Mutter noch mal ein Dankeschön aus für die Brote und alles.«
    Andy läuft allein los und ruft im Umdrehen noch: »No problem, bra !«
    Was ich an Sipho am meisten schätze: Er kann zuhören wie kaum jemand sonst. Und was du auch mit ihm teilst, welche Niederlage oder welchen Fehler oder sonstigen Schwachsinn, den du angestellt hast - er wird es niemals gegen dich

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