Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
angesprochen hast, geht es mir wieder im Kopf herum. Außerdem habe ich in den letzten Tagen festgestellt, dass ich das erste Mal in meinem Leben dankbar dafür bin, was diese Frau gemacht hat. Sonst wäre ich nicht hier aufgewachsen, hätte dich nie gefunden. Und nachdem ich euch Amazonen nicht mehr pauschal hassen kann, ist jetzt vielleicht der richtige Zeitpunkt.“
„Bist du sicher?“
„Ja“, sagte er entschlossen.
Nun gut. Es war eine schreckliche Geschichte, aber da musste er durch, wenn er die Wahrheit erfahren wollte. Und ich musste durch, weil ich es gewesen war, die in seiner Vergangenheit herumgewühlt und all das zutage gefördert hatte. Selbst schuld.
„Ich habe heimlich in Atalantes Büchern nachgesehen, welche Amazonen im Sommer vor deiner Geburt Yashti waren.“ Geflissentlich ignorierte ich Louis' tadelnden Blick, der mich immer heimsuchte, wenn ich für ihn – oder in diesem Falle für Informationen ihn betreffend – etwas Verbotenes getan hatte. Ich atmete tief durch und brachte es dann schnell hinter mich. „Es waren fünf Frauen. Drei davon gebaren Mädchen. Eine empfing kein Kind. Und eine brachte eine Totgeburt zur Welt. Angeblich ein Mädchen, das keine von den anderen Amazonen je gesehen hat.“
Louis sah mich verständnislos an, als wolle er sagen: Und was hat das mit mir zu tun? Dann sickerte das Gehörte langsam durch. „Was ist mit dem toten Mädchen passiert?“
„Angeblich hat seine Mutter es direkt nach der Geburt im Wald vergraben.“ Ich ließ auch diese Information auf ihn einwirken.
„Und du meinst, sie ist …?“ Seine Stimme klang heiser und ich glaubte, einen Funken Hoffnung darin zu hören.
„Deine Mutter? Ich bin nicht hundertprozentig sicher, aber das, was ich dir eben erzählt habe, war alles, was ich in Erfahrung bringen konnte, und es ist die einzig logische Erklärung.“
„Wer ist es?“
Mein Herz wurde mir schwer. „Louis, sie lebt nicht mehr“, sagte ich leise und drückte seine Hand. „Ihr Name war Leonore. Sie hat sich umgebracht, ein Jahr nach der angeblichen Totgeburt.“
Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich. Stumm blickte er hinab ins tosende Wasser unter uns.
„Ich bin überzeugt davon, dass sie es bereut hat, ihr Kind ausgesetzt zu haben, und dass sie mit der Schuld, die sie auf sich geladen hatte, nicht weiterleben konnte“, redete ich schnell weiter, aber er schien mir gar nicht zuzuhören. Langsam ließ er meine Hand los, erhob sich und starrte düster in die Ferne. Besorgt sah ich zu ihm auf. „Vielleicht stimmen die Aufzeichnungen ja nicht. Vielleicht habe ich etwas übersehen“, plapperte ich kopflos weiter. „Ich kann noch mal zu Taminee gehen und versuchen, mehr herauszubekommen. Oder ich –“
„Ell“, unterbrach er mein hilfloses Gebrabbel. „Die Geschichte stimmt. Es ist alles plausibel.“ Seine Stimme klang so kühl, dass mich eine Welle von Furcht überspülte.
Was, wenn das nun der richtige Zeitpunkt für ihn ist, die Amazonen wieder pauschal zu hassen? fuhr mir durch den Kopf. Ich stand auch auf.
„Es tut mir leid, dass ich dir nichts Positiveres erzählen konnte“, sagte ich vorsichtig.
Er schüttelte nur abwesend den Kopf. Eine Weile betrachtete ich sein Profil, versuchte herauszufinden, was er wohl gerade dachte, aber meine telepathischen Kräfte versagten wie üblich. Schatten und Kerzenlicht tanzten auf seinem Gesicht, aber ich konnte den Ausdruck nicht entschlüsseln, den es zeigte. Verzweifelt zermarterte ich mir mein Gehirn, was ich noch sagen konnte, um ihn zu trösten. Aber abgesehen von Plattitüden kam ich auf nichts; vielleicht gibt es auch einfach nichts Passendes, was man in so einer Situation sagen kann.
Behutsam strich ich über seinen Arm, aber er reagierte nicht. Die Minuten vergingen und meine Hoffnung sank. Ich hätte ihm die Wahrheit nicht erzählen sollen. Was hätte eine klitzekleine Notlüge schon geschadet? Das Beste wäre gewesen, ich hätte mich von Anfang an nicht in seine Vergangenheit eingemischt. Dann hätte ich ihm gar nichts erzählen können. Aber dann wären wir vielleicht auch gar nicht zusammengekommen …
Inzwischen kämpfte ich mit den Tränen und mein Verstand schalt mich dafür. Reines Selbstmitleid. Armselig. Du hast doch deine Mutter wiedergefunden. Kein Grund zu heulen also.
Trotzdem spürte ich es in meinen Augen brennen und mir wurde bewusst, dass ich zusehen musste, vom Baumstamm herunterzukommen. Und zwar, bevor meine verschwommene Sicht den Gang
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