Theodor: The Theodor Story (Die Wiedergeburt) (German Edition)
denken?“
„Weil ich ja weiß, wie sie aussieht.“ Jetzt lächelt der Sohn ebenfalls. Das Wortspiel scheint ihm zu gefallen.
„Und das Stück Fleisch?“
„Weiß ich doch auch, wie es aussieht. Ich habe doch schon Fleisch gegessen.“
„Und Allah?“ Der Vater hält in seinem Waschrhythmus inne.
„Allah?“ Der Sohn hält ebenfalls inne. „Es ist verboten, sich Allah vorzustellen. Niemand darf sich ein Bild von ihm machen!“
„Wenn ich dich nach deiner Schwester frage“, erwidert der Vater, „hast du augenblicklich das Bild deiner Schwester vor dir. So auch bei einem Stück Fleisch. Wenn ich dich nach Allah befrage, erzitterst du – warum?“
„Vater!“, empört sich der Sohn. „Ich erzittere nicht, ich habe Ehrfurcht.“
„Nun, mein Sohn“, sagt der Vater darauf gedehnt. „Allah ist der alleinige Gott. Du hast Furcht davor, dir ihn vorzustellen – warum?“
„Vater, das ist verboten.“ Der Jüngling sieht seinen Vater mit verwirrtem Blick an. „Wer sich ein Bildnis von Allah macht, sündigt und wird bestraft.“
Der Vater beginnt, sich wieder zu waschen. „Ben Shudah ist Rabbi“, sagt er nach einer Weile. „Ben Shudah wird dich aufklären und dich in Geheimnisse einweihen, für die du nun so weit bist, um sie zu verstehen und sie für dich zu behalten. Ben Shudah ist ein sehr alter, weiser Mann. Ich kenne ihn schon seit ich Kind bin. Seither hat Ben Shudah sich nicht verändert.“
Nachdem sie in ein trockenes Gewand geschlüpft sind, begeben sie sich in das Gemach Ben Shudahs, der sie mit einem freudigen Lächeln erwartet. In der Mitte des Gemachs steht ein niedriger runder Tisch; bedeckt mit Fleisch, Obst und Säften. Aber das ist es nicht, was den Jüngling beeindruckt. Vielmehr sind es die unzähligen Symbole, Bilder und Zeichnungen, die auf den vielen Stoffen zu sehen sind.
„Dein Verlangen lag mir nah, es zu erfüllen“, sagt Ben Shudah zu dem Jüngling, der ihn mit großen Augen ansieht. „Jedoch deine Schwester konnte ich dir nicht erfüllen.“ Der Rabbi lacht für einen Moment laut auf, als er das verdutzte Gesicht des Jünglings erblickt.
„Lass es dir schmecken und wundere dich nicht.“ Er deutet dem Jüngling einen Platz an und wendet sich dem Vater zu. „Es ist so, wie du es mir gesagt hast“, spricht er in sehr ernstem Tonfall. „Diese Welt, wie du sie mir geschildert hast, existiert. Ich war dort und habe sie mir betrachtet. Deine Vermutung hat sich bestätigt – leider.“
„Ich war ebenfalls dort, Ben Shudah“, erwidert der Vater. „Das Alleinige, das Gesamte, das Ganze wurde gespalten in drei unterschiedlich großen Teilen.“
„Setzen wir uns zu deinem Sohn“, sagt Ben Shudah und kommt seiner eigenen Aufforderung nach. „Ich werde ihn in die Geheimnisse einweihen, so dass er dir immer und jederzeit den Rücken decken kann.“
Der Sohn hält im Essen inne und schaut zwischen den Beiden hin und her. „Ich bin sehr gespannt“, bemerkt er mit vollem Mund.
„Höre einfach, was ich dir zu sagen habe, mein Junge“, spricht Ben Shudah ihn mit fester Stimme an. „Ich bin Ben Shudah. Mit Abstand der älteste Mensch und mit Abstand – bis auf deinen Vater – der weiseste Mensch im arabischen Land. Ich kenne die Menschen in ihrem Wesen, ich kenne ihre verborgenen Geheimnisse. Ich kenne alle Religionen, ich kenne alle Glaubensrichtungen und ich kenne ihre Begründer. Das, mein Junge, was du nun zu hören bekommst, wird dich aufklären und dir zu verstehen geben, warum es keinen Frieden zwischen den Menschen geben kann. Du wirst begreifen und verstehen, aber auch zweifeln und widerlegen.“
Ben Shudah überschlägt seine Beine zum Schneidersitz und legt seine offenen Handflächen auf die Oberschenkel. Daraufhin schließt er seine Augen. „Die Erde entstand durch die gewaltige Explosion eines Sterns und entwickelte sich in Milliarden von Jahren ohne Zeit und ohne Raum. Viele Lebewesen gab es auf der Erde, viele gibt es nicht mehr. Das Zentrum war eine Einheit. Diese Einheit spendete Kraft. Diese Kraft verwirklichte Leben, dieses Leben hat sich entwickelt. Der Mensch schöpft von dieser Kraft und bedient sich ihrer nach Belieben. So erfuhr der Mensch nach und nach, wie er welche Dinge nutzen und benutzen kann, ohne sich bewusst zu sein, wie sich die Dinge gestalten. Er nahm, er formte und er gestaltete. Das waren Anfänge der eigenen Schöpfung, denn im Laufe der Zeit lernte der Mensch, sich Dinge vorstellen und nach diesem Vorstellen erschaffen
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