Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
kennt seinen Schopenhauer; reell betrachtet ist Franzl nichtig, wie der Glühwurm, der zwar nachts geheimnisvoll leuchtet, auf der flachen Hand aber von trostloser Gewöhnlichkeit ist (6. August).[ 16 ] Er ordnet auch ein: Franzl ist aufgenommen in die «Galerie, von der keine ‹Literaturgeschichte› melden wird, und die über Klaus H. zurückreicht zu denen im Totenreich, Paul, Willri und Armin» (11. Juli). Zu jeder dieser homoerotischen Erregungen gehören bekanntermaßen Werke – zu Armin Martens
Tonio Kröger
, zu Willri Timpe
Der Zauberberg
, zu Paul Ehrenberg
Joseph
und
Doktor Faustus
, zu Klaus Heuser ein Essay über Kleists
Amphitryon
. Franzl belebte aus dem Hintergrund den
Erwählten
, die
Bekenntnisse des Hochstaplers
und den Essay
Die Erotik Michelangelo’s
, der in seiner Transparenz und Doppelbödigkeit, und zwar sowohl hinsichtlich der Erotik wie auch hinsichtlich des Künstlertums, wieder zu einem glitzernden Meisterwerk geworden ist.
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Gruppe 47
Während Thomas Mann trotz Hitler über die ganze Pracht seiner Sprache ungebrochen weiter verfügen konnte, stand die junge deutsche Literatur 1945 vor einem Scherbenhaufen. Große Bereiche des Vokabulars und sogar manchmal der Grammatik warenkontaminiert. Hans Werner Richter und Günter Eich, Walter Jens und Wolfdietrich Schnurre, Günter Grass und Heinrich Böll, Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger mußten ihre Sprache neu erfinden, und dabei kam etwas Rauhes und Krächzendes zustande, ein grotesker Tanz zwischen Ruinen.
Die sich bildende Gruppe 47, die in der Bundesrepublik literaturpolitisch ziemlich rasch die Macht übernahm, wollte bei diesem mühseligen Neuerfindungsgeschäft nicht gestört werden. Zu ihren Tagungen wurden diejenigen nicht eingeladen, deren Kontinuitäten nach rückwärts noch funktionierten. Dazu gehörten richtigerweise die ehemaligen Nazi-Autoren wie Hanns Johst oder Edwin Erich Dwinger, schon weniger selbstverständlich die großen Figuren der Inneren Emigration wie Werner Bergengruen oder Reinhold Schneider, noch weniger selbstverständlich schließlich die Autoren des Exils, Bertolt Brecht und Arnold Zweig, Anna Seghers und Lion Feuchtwanger, Carl Zuckmayer und Thomas Mann. Die Gruppe 47 trug – mehr ungewollt als gewollt – dazu bei, daß die ehemaligen Exilautoren in der frühen Bundesrepublik nur schwer Fuß fassen konnten. Sie fanden die Plätze, an die sie gehört hätten, schon besetzt, von der Inneren Emigration und von der Gruppe 47. Erst die Studentenbewegung bemühte sich wirksam um die Rückkehr des Exils in das deutsche Bewußtsein. An ihr geht 1968 auch die Gruppe 47 als Organisation zugrunde, wenn auch nicht als Marktmacht der zu ihr gehörenden Autoren, Kritiker und Verlage.
Thomas Mann scheint das alles wenig zu betreffen. Die Nichteinladung durch die junge Literatur kann gut verschmerzen, wer als Festredner zu Goethes 200. Geburtstag und zu Schillers 150. Todestag eingeladen wird. Was er von der jungen deutschen Literatur wahrnahm, war negativ. Er bezeichnete die Gruppe 47 als pöbelhafte «Rasselbande». Er kenne die Unverschämtheit der sogenannten jungen Generation und ihre dreiste Witzelei über ihn als abgetaner Existenz und altes Eisen:
Da ist kein Anstand, keine Bescheidenheit, kein Wissen um das eigene Maß und um – andere Maße, keine Dankbarkeit, keine Fähigkeit zum Aufblick, zur Bewunderung, zur Liebe, ohne die man nichts lernt. Man hat nichts gelernt, in keiner Beziehung, man ist nichts als ein Frechdachs –[ 17 ]
Das mag übertrieben sein, aber literarhistorisch bleibt es eine Tatsache, daß sich das Verhältnis zu Thomas Mann erst seit der Jahrtausendwende wirklich entspannt hat, daß es ein halbes Jahrhundert lang zum guten Ton gehörte, sich von ihm zu distanzieren, und daß es erst heute wieder Schriftsteller gibt, die sich zu ihm als Vorbild bekennen.
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Süßer Tod
«Fahr wohl denn, mein Vater und Vorsteher! Im Lichte und in der Leichtigkeit sehen wir beide uns wieder.»[ 18 ] Thomas Mann starb zwar nicht ganz so poetisch wie Josephs Vorläufer Mont-kaw, nicht getröstet von einem schönen Knaben, sondernprosaisch im Züricher Kantonsspital, im Beisein von Katja, aber ohne langen Todeskampf, schmerzlos, im Schlaf. Es sei, schrieb Erika Mann später, sein «Musikgesicht» gewesen, das sterbend seine Züge annahmen, «das Gesicht dessen, der auf eine zugleich versunkene und tief aufmerksame Art dem Vertrautesten und Liebsten nachhorcht.»[ 19 ] Die Musik des
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