Thors Valhall
wuchs bei meinem Großvater auf, weil meine Eltern mich für unzurechnungsfähig hielten und keinen Zugang fanden zu meiner Lebenseinstellung. Gewalt und Jähzorn sind mir aus der Black Metal Szene ebenfalls bestens bekannt.“
Tony nickte. „Und diese Szene hat dich zum Mörder gemacht. Ist wohl nicht unbedingt etwas, worauf man stolz sein sollte, oder?“
Thor atmete geräuschvoll aus. Er antwortete nicht, sondern ließ die Anschuldigungen im Raum stehen. Er hatte es nie für nötig gehalten, sich öffentlich für den Tod von Magnus zu rechtfertigen. Und er würde es auch in Zukunft nicht tun. Das war einfach nicht seine Art.
Gemeinsam sahen sie durch die Glasscheibe, die Dylans Krankenzimmer abschirmte. Tony schüttelte den Kopf. „Dylan wird sich nicht ändern, und die Sauferei macht alles noch viel schlimmer.“ Er seufzte. Ihm kamen Gedanken in den Kopf, die er nicht aussprechen wollte. Man konnte sich denken, wohin Dylans Weg führen würde, würde er seine Gewohnheiten nicht ändern. Obwohl es Tony sichtlich missfiel, sah er nur einen Ausweg, der Dylan vielleicht wieder auf den richtigen Weg bringen könnte.
„Ich weiß nicht, wieso, aber Dylan hat innige Gefühle für dich. Und er geht kaputt daran.“
Als Thor diese Aussage vernahm, senkte er den Kopf, schwieg weiterhin, als wolle er diese Tatsache nicht hören, nicht wahrhaben.
„Was ist so schwer daran, ihm endlich das zu sagen, was er hören möchte?“, fragte Tony. Es klang vorwurfsvoll. Und eigentlich sträubte er sich innerlich dabei, das zu sagen.
„Was meinst du?“
„Ich meine die berühmten drei Worte“, erklärte Tony, dabei sah er Thor auffordernd an. „Nur drei Worte. Wieso sagst du sie ihm nicht endlich?“
Thors Gesicht blieb emotionslos. Noch einmal blickte er ins Krankenzimmer, dann auf die Uhr, die sichtbar an der Wand hing.
„Ich muss los“, sagte er schließlich. Ohne Weiteres drehte er sich um und ging.
Vor dem Krankenhaus steckte er sich eine Zigarette an. Befreit zog er daran, schloss kurz die Augen und genoss den Geschmack und Geruch des Tabakrauchs, der sich einen Weg durch seine Atemwege suchte. Auch Carol war nach der Behandlung von Dylan vor die Tür gegangen, um ihrem Laster nachzugehen. Als sie ihre Zigarette ausgedrückt hatte, kam sie auf Thor zu.
„Wie geht es ihm jetzt?“
Er nickte. „Ganz gut, denke ich.“
„Es muss schlimm gewesen sein“, sprach Carol, noch immer war die Bestürzung in ihren Augen zu erkennen. „Er hat erzählt, dass sie ihn vom Zelt weggelockt haben, mit dem Vorwand, dich treffen zu können … Dann haben sie völlig unvorbereitet auf ihn eingeschlagen, einer hat ihn dabei festgehalten, er konnte sich gar nicht wehren …“
Sie schluckte, war den Tränen nahe, doch anstatt sich gehen zu lassen, griff sie lieber wieder zu ihren Zigaretten. Unaufgefordert gab Thor ihr Feuer.
„Er konnte die Gesichter im Dunklen nicht genau erkennen, doch er sagt, es seien Metal Fans gewesen, kann das sein?“
„Klar!“ Thor zog noch einmal an seiner Zigarette, wobei sich seine hohlen Wangen zusammenzogen, dann warf er die Kippe auf den Boden, drückte sie mit seinem schweren Stiefel aus. „Es gibt genug Metal Fans, die Dylan hassen, die mich hassen für das, was durch die Medien ging … Er kann froh sein, dass sie ihn nicht totgeprügelt haben.“
„Mein Gott!“ Carol schüttelte den Kopf, wobei sich ein paar blonde Strähnen ihres nach hinten gebundenen Haares lösten.
„So ist das in der Szene“, sagte er kühl, unbekümmert. „Manche Dinge kann man nicht verhindern.“ Er wägte ab. „Und vielleicht bringt unsere gemeinsame Platte ja endlich etwas Struktur in die Sache?“
Er zwinkerte ihr zu. Konnte das sein? Hatte Thor Fahlstrøm tatsächlich Humor? Sie erwiderte sein Lachen, und ebenso, wie Tony, wagte sie sich vor. Schon lange hatte sie das Gefühl verspürt, sie müsse das Gespräch mit Thor suchen. Doch bislang hatte sich nie ein günstiger Moment ergeben.
„Du musst mich und Tony entschuldigen, wenn mir oftmals etwas abweisend sind – auch dir gegenüber, aber wir machen uns einfach große Sorgen um Dylan.“
„Ach, Tony, der …“ Thor winkte ab.
„Du kannst mir glauben, Tony ist ein herzensguter Mensch, er macht sich große Vorwürfe, macht sich mit verantwortlich für Dylans Verfassung und im Grunde genommen ist er einfach nur eifersüchtig auf dich.“
„Eifersüchtig?“, wiederholte Thor, sein Gesicht blieb ernst. „Was für ein
Weitere Kostenlose Bücher