ThunderStorm
ein bisschen Ablenkung neben der Musik gut gebrauchen. Jetzt, wo ihre Tour vorbei war und sie in den nächsten Wochen keinerlei Termine hatten, war die Gelegenheit günstig, neue Freundschaften zu schließen. Davon war seine freche Schuhdiebin übrigens nicht sehr begeistert. Nicht, weil sie eine Freundschaft zwischen Brian, Trent und Baxter missbilligte, sondern weil ihre Freunde jede Gelegenheit ausnutzten, um Brian und ihn über diverse, jugendliche Schandtaten von Rachel aufzuklären.
Was mit ein Grund war, warum Rachel gestern Abend kurzerhand in ihre Wohngemeinschaft gefahren war, um ein paar Sachen zu packen und sich gleich für den Rest der Woche hier bei ihm einzuquartieren. Weit weg von den Klatschtanten namens Trent und Baxter, hatte sie dabei gegrummelt, worauf Brian und er sich vor Lachen ausgeschüttet hatten. Das Schönste an der ganzen Sache war für Gendry allerdings, dass Rachel ihre Sachen mit in seinen Kleiderschrank eingeräumt hatte. Er hatte zwar erst mal Platz machen müssen, aber jetzt lag ihr Zeug in seinem Schrank.
Gendry grinste glücklich und fiel vor Schreck fast aus dem Bett, als Brian plötzlich seine Tür aufstieß und ins Zimmer gestürmt kam. „Es gibt Ärger mit Rachel“, sagte sein Bruder mit einem besorgten Blick und verschwand sofort wieder.
So schnell war Gendry noch nie aus seinem Bett raus und nach unten gerannt, wo sein Bruder in der offenen Haustür stand und mit gerunzelter Stirn nach draußen sah. „Was ist passiert?“, fragte er und folgte Brians Blick Richtung Straße. Dann blieb ihm der Mund offenstehen, denn die Frau, die am Gehsteig neben einem protzigen Mercedes mit Chauffeur stand, war eine an die dreißig Jahre ältere Version von Rachel, und seine Schuhdiebin war ganz und gar nicht erfreut darüber, diese Frau zu sehen. „Fuck“, murmelte Gendry.
Was, zum Kuckuck, wollte Rachels Mutter hier?
„Ich frage dich noch mal, was willst du hier?“
'Eiskalt' traf es als Beschreibung von Rachels Tonfall höchstens im Ansatz und da verstand Gendry langsam, wie sehr Rachel ihre Familie verabscheute, denn dass sie genau das tat, war so deutlich in ihrer Gestik und Mimik zu erkennen, dass es für Gendry ein Wunder war, dass ihre Mutter überhaupt noch da stand und nicht längst tot umgefallen war.
Entweder begriff Rachels Mutter nicht, wie wenig sie hier willkommen war, oder es war ihr schlichtweg egal. Möglich war beides, dachte Gendry, während er die Frau ansah, die vor Rachel stand, samt ihrer Überheblichkeit, die sie genauso offen zur Schau trug, wie diesen teuren Pelzmantel, was im Übrigen komplett lächerlich wirkte, immerhin waren sie in Los Angeles und die Temperatur lag, obwohl es erst Anfang Januar war, bereits bei über zwanzig Grad.
„Mir ein Bild von dem machen, was ich in letzter Zeit über dich hörte. Und was finde ich vor? Dich und diesen Mann.“ Die Frau sah ihn abschätzig an und das verriet Gendry einiges über sie. „Stimmen diese Gerüchte etwa? Unterhältst du eine Affäre mit ihm?“
Gendry ballte die Hände zu Fäusten, weil diese Frau klang, als wäre er etwas, das man unter der Schuhsohle hervorgeholt oder den Hunden zum Fraß vorgeworfen hatte, wenn überhaupt. Rachels Mutter hielt ihn offenbar für den allerletzten Abschaum und wenn er eines nicht leiden konnte, dann waren es solche oberflächlichen und eingebildeten Menschen, die Andere danach beurteilten, ob sie ihres eigenen Standes würdig waren.
„Und wenn es so wäre, Mutter?“, fragte Rachel kalt und verschränkte dabei die Arme vor der Brust. „Warum wundert dich das überhaupt? Es ist doch nicht das erste Mal, dass deine Tochter in der Gegend herum fickt, oder hast du das schon vergessen?“
Rachels Mutter schnappte nach Luft. „Agatha, denke an deinen Ton. Ich bitte dich!“
Agatha? Rachel hieß Agatha?
Gendry runzelte die Stirn. Das war ihm neu. Sehr neu sogar. Rachel hatte offenbar mehr als nur ein Geheimnis, was ihre Herkunft anging, und Gendry wusste nicht, was er davon halten sollte, dass sie ihm davon nichts erzählt hatte. Dass ihr Verhältnis zu ihren Eltern schlecht war, das war nichts Neues für ihn, aber er hätte nie vermutet, dass sie sich deshalb sogar einen neuen Namen zugelegt hatte. Ihm fielen Trents Worte wieder ein, dass damals, nachdem Rachel schwanger geworden war, eine Menge schiefgegangen war, und langsam dämmerte ihm, dass er bei Rachel gerade mal die Oberfläche angekratzt hatte, was diese schwere Zeit anging.
„Rachel, Mutter!
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