Thursday Next 02 - In einem anderen Buch
Kumpel«, sagte der Safeknacker, ohne innezuhalten. Das Loch war fertig gebohrt, er hatte eine Art Kitt angebracht und goss jetzt gerade flüssigen Stickstoff in die Tresortür.
Die Schlacht vor der Tür nahm noch einmal an Heftigkeit zu. Man hörte Kommandos, das Krachen von explodierenden Granaten, das Rattern von Maschinenpistolen, Schreie und schließlich ein gewaltiges Donnergetöse. Die Kronleuchter schwankten und einzelne Bücher fielen aus den Regalen. Danach herrschte Ruhe.
Wir sahen uns an. Leise klopfte es an die Tür, so als tippte jemand mit einem Speer auf den Stahl. Ich zuckte die Achseln.
Nach einer kurzen Pause wiederholte sich das Geräusch. »Gottseidank!« sagte Harris erleichtert. »König Pellinore hat es verscheucht! Next, machen Sie die Tür auf!«
Aber genau das tat ich nicht. Ich traute den Ungeheuern aus den Abgründen menschlicher Vorstellungskraft nicht. Ich hob meine Hand, berührte das Rad aber nicht. Und das war auch gut so. Denn der nächste Schlag war überhaupt nicht mehr leise. Und der nächste war so stark, dass die Panzertür zitterte.
»Verdammt!« rief Harris. »Warum ist eigentlich nie ein Pellinore da, wenn man ihn braucht? Raffles, wir haben nicht mehr viel Zeit -!«
»Nur noch ein paar Minuten ...« sagte Raffles und schlug mit einem Hammer auf die Tresortür, während Bunny gleichzeitig am Messinggriff zog.
Harris warf mir einen besorgten Blick zu, als sich die Bibliothekstür unter der Wucht eines weiteren heftigen Schlags nach innen wölbte und ein Riss in der Mitte erschien. Beim nächsten Schlag löste sich das Rad von der Tür und fiel auf den Boden. Es war keine Frage mehr, dass der Glatisant hereinkommen würde, es ging nur noch um Sekunden.
»Okay«, sagte Harris bedauernd und fasste mich am Ellbogen. »Ich glaube, das war's. Raffles, Bunny, wir müssen hier raus!«
»Nur noch ein paar Sekunden ...« sagte der Safeknacker mit seiner üblichen Nonchalance. Er war es gewohnt, in einem sehr engen Zeitrahmen zu arbeiten, und mochte keinen Auftrag halbfertig zurücklassen.
Die Tür der Bibliothek erzitterte unter der Wucht eines weiteren Angriffs, und der Riss erweiterte sich, als das Questing Beast mit ohrenbetäubendem Getöse dagegen anrannte. Erneut fielen Bücher aus den Regalen, und ein übler Geruch erfüllte die Luft. Und dann, während das Ungeheuer zum nächsten Schlag ausholte, hatte ich plötzlich doch noch eine Idee. Ich zog Harris zu mir heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Nein!« sagte er. »Was ist, wenn -«
Ich erklärte es noch einmal, und da lächelte er.
Daraufhin wandte ich mich an Volescamper und Kaine. »Einer von euch ist also fiktional«, sagte ich.
»Und wir müssen herausfinden, wer«, sagte Harris und hob seine Pistole.
»Es könnte Mr Kaine sein -«, sagte ich und starrte den eleganten Politiker an, der wütend zurückstarrte und sich wahrscheinlich fragte, was wir wohl vorhatten.
»- der fragwürdige Populist -«
»- oder sagen wir lieber gleich Nazi -«
»- der so geil auf Eroberungskriege ist -«
»- und die Menschenrechte abschaffen will.«
Harris und ich warfen uns gegenseitig die Dialogzeilen zu, immer schneller und schneller, während das Ungeheuer auf die Bibliothekstür und Raffles auf den Tresor einhämmerte.
»Oder ist es doch Volescamper -«
»- der Lord des alten Königreichs, der -«
»- wieder an die Macht kommen will -«
»- mit Hilfe seiner Whig-Freunde ?«
»Aber viel wichtiger -«
»- bei diesem Dialog -«
»- der so munter -«
»- zwischen uns hin und hergeht -«
»- ist natürlich, dass eine fiktionale Person -«
»- wahrscheinlich den Faden verloren hat -«
»- und nicht mehr weiß -«
»- wer von uns gerade spricht.«
»Und wissen Sie, was das Komische ist? Ich weiß es schon beinahe selbst nicht mehr richtig!«
Wieder krachte das Biest an die Tür, ein Metallsplitter fegte haarscharf an meinem Ohr vorbei. Beide Türen waren fast offen, und in wenigen Sekunden würde das Entsetzliche uns vernichten.
»Deshalb stellen wir Ihnen eine einfache Frage: Wer von uns spricht gerade?«
»Sie!« brüllte Volescamper und zeigte - zutreffenderweise - auf mich. Kaine allerdings hatte tatsächlich den Faden verloren und zeigte auf Harris. Er korrigierte sich hastig, aber es war schon zu spät. Wir wussten jetzt, dass er fiktional war. Nur im Roman oder im Theaterstück muss man dazusagen, wer gerade spricht.
Und er wusste, dass wir ihn durchschaut hatten. Die Maske des geschmeidigen
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