Thursday Next 04 - Es ist was Faul
tatsächlich gestorben, als er zwei Jahre alt war, und ich hatte nur Erinnerungen, wie es gewesen war, als er noch lebte und mein Geliebter und Ehemann war.
Ich zuckte die Achseln und schalt mich wegen meiner morbiden Gedanken. Inzwischen war ich auf dem Weg zu den
Twilight Homes
, wo meine Granny jetzt lebte.
Als die Pflegerin mich hereinführte, sah Granny gerade einen Naturfilm. Ein mir unbekannter, schwerfälliger Vogel watschelte über den Bildschirm. Gran trug wie immer ein blau kariertes Nachthemd. Ihr dünnes graues Haar war zerzaust, und man sah ihr jedes ihrer 110 Jahre an. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass sie ihre sterbliche Hülle erst dann abschütteln könnte, wenn sie die zehn langweiligsten Bücher gelesen hätte, aber da »langweilig« fast noch schwerer zu bestimmen war als »nicht langweilig«, war es praktisch unmöglich, ihr zu helfen. Außerdem interessierte sie sich für nahezu alles.
»Psst!«, machte sie, als ich hereinkam. »Das ist eine absolut
faszinierende
Sendung!« Sie starrte wie angenagelt auf den kleinen Fernseher. »Stell dir vor, mit Hilfe einer genauen Analyse der Knochen dieser ausgestorbenen
Anas platyrhynchos
haben die Wissenschaftler herausgefunden, wie das Tier sich bewegt hat.«
»Woher wollen sie das wissen?«, fragte ich zweifelnd. »Bloß weil sie ein paar alte Knochen entdeckt haben? Was ist das überhaupt für ein Vogel?« Aufgrund langer, bitterer Erfahrungen war ich seit langem der Ansicht, dass die meisten »Experten« alles andere als Fachleute waren.
»Mach dich nicht lustig, kleine Thursday«, erwiderte Granny. »Eine paläontologische Kommission von anerkannten Vogelkundlern hat gesagt, es handelt sich um eine echte Ente! Sie sind sogar zu der These gelangt, dass der Schrei dieses Vogels etwa so klang:
quock, quock.
« Sie spitzte den Mund, um das Geräusch nachzuahmen.
»Also das ist eine Ente, und sie machte
quock, quock?.
«, sagte ich. »Kommt mir nicht sehr glaubwürdig vor.«
»Vielleicht hast du recht«, sagte sie, knipste den Fernseher aus und ließ die Fernbedienung aufs Bett sinken. »Was wissen schon die Experten?«
Granny war genauso wie ich eine Buchspringerin, das heißt, sie konnte sich in Bücher hineinlesen. Ich wusste nicht genau, wie es funktionierte, aber ich war sehr froh, dass wir es konnten. Granny war es vor allem, die mir half, meinen Ehemann nicht zu vergessen. Aber vor etwa einem Jahr, als ich noch in einem schlechten Kriminalroman namens
Caversham Heights
wohnte, hatte sie mich verlassen. Ich könne sehr gut für mich selbst sorgen, sagte sie, es bestünde kein Grund, warum sie sich für mich abschuften sollte. Was natürlich eine ziemliche Unverschämtheit war, denn in Wirklichkeit musste ich
für sie
sorgen. Aber wie auch immer. Sie war meine Großmutter, und ich liebte sie sehr.
»Du meine Güte!«, sagte ich, als ich ihre faltige Haut sah, die stark an einen neugeborenen Schnabeligel erinnerte.
»Was ist?«, fragte sie scharf.
»Ach, nichts.«
»Nichts? Du hast darüber nachgedacht, wie alt ich aussehe, was?«
Es hatte keinen Sinn, es zu leugnen. Jedes Mal, wenn ich sie sah, dachte ich, älter könne man wirklich nicht aussehen. Aber beim nächsten Mal sah sie noch älter aus.
»Wann bist du zurückgekommen?«
»Heute Morgen.«
»Und, was meinst du?«
Ich informierte sie über die neuesten Entwicklungen mit Hamlet und Lady Hamilton, bzw. meiner Mutter und Bismarck.
Sie schüttelte den Kopf. »Ganz schön riskant«, sagte sie.
»Mum und Bismarck?«
»Nö, Emma und Hamlet.«
»Er ist fiktional, und sie ist historisch. Was ist daran so riskant?«
»Ich habe daran gedacht, was passiert, wenn Ophelia von dem Techtelmechtel erfährt.«
Daran hatte ich nicht gedacht, aber sie hatte natürlich recht. Hamlet konnte sehr schwierig sein, aber Ophelia war unmöglich. Ich hatte schon immer den Verdacht gehabt, dass Sir Falstaff seinen Posten als Jurisfiktion-Agent im Elisabethanischen Drama deshalb aufgegeben hatte, weil Ophelia so anspruchsvoll war. Ständig wollte sie Schmusetiere, frisches Mineralwasser oder Sushi, wenn sie in Helsingör arbeitete. »Meinst du, ich sollte Hamlet in
Hamlet
zurückschicken?«
»Nicht sofort«, sagte Granny und hustete in ihr Taschentuch. »Er soll ruhig mal sehen, wie die wirkliche Welt ist. Vielleicht begreift er dann, dass es nicht unbedingt fünf Akte braucht, um sich zu etwas zu entschließen.«
Sie fing erneut an zu husten, also rief ich den Pfleger, der mir erklärte,
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