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Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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geht vorüber, wenn man genug Zeit verstreichen läßt.«
    »Das würde eine Ewigkeit dauern.« Doch der Druck auf ihren Händen verringerte sich nicht – gegen ihren Willen – sie fühlte, wie ihre Hände nachgaben und die Fläschchen ins Regal zurückstellten.
    »Eine weise Entscheidung.« Die Maskenmacherin sah durch sie hindurch, in sie hinein.
    Jerusha antwortete nicht. Sie hatte keine Ahnung, was sie hätte sagen sollen.
    Nun endlich trat die Frau beiseite und ließ sie los, als hätte sie sie irgendwie gefangen gehalten. Sie ging weiter zu den hinteren Regalen des Ladens. Jerusha aber ging zur Tür und hinaus, ohne etwas zu kaufen, ohne auch nur ein Wort mit dem Ladenbesitzer zu wechseln.
     
    Warum habe ich nur auf sie gehört?
Jerusha hatte sich rastlos im Bett auf einen Ellbogen gestützt. Sie erfuhr das Gefühl eines rauhen Lappens, der über ihre Hand glitt, dann weiter über den Unter-und Oberarm, während ihr der Arm einschlief. Jedesmal, wenn sie diesen Ort betrat, schien sie von einer Lähmung befallen zu werden, die ihre Fähigkeit zu agieren oder reagieren, zu denken und zu fühlen, zunichte machte. Sie sah zu, wie die sterile Uhr, eingebettet in sterilen Kristall, auf dem sterilen Wandregal gegenüber, die Sekunden wegtickte. Götter, wie sie diese Umgebung haßte, jeden leblosen Zentimeter davon ... Es war genauso wie damals, als LiouxSked gegangen war, dieselbe Fassade, die die Bewohner von der zeitlosen Realität des Gebäudes und der Stadt isolierte, die sie umgaben.
    Sie hatten mit ungewöhnlicher Hingabe einen kharemoughischen Lebensstil gepflegt: die gekünstelte, leblose und seelenlose Imitation eines Lebensstils, den sie durch und durch abstoßend und obskur fand. Die Patina ihrer persönlichen Besitztümer konnte daran kaum etwas ändern. Sie stellte sich ein paar Ornamente vor, Rokokofresken und Gemälde, hie und da mal ein lebendiger Farbtupfer ... dann bedeckte sie die Augen mit der Hand, als die farblose Wirklichkeit wieder Form annahm und alle eingebildeten Farben auslöschte.
    Man hatte sie gezwungen, diesen Ort mit all seinen häßlichen Erinnerungen zu beziehen – Teil ihrer Bürde, ihrer Strafe. Sie hätte zurückschlagen können, alle Relikte aus diesem Mausoleum entfernen und es mit neuem Leben erfüllen... sie hätte es sich sogar völlig vom Hals schaffen können, um wieder in ihre alte, enge, aber gemütliche Wohnung im Labyrinth zu ziehen. Aber sie war immer wieder, wenn ihr Tagwerk vollbracht war, hierher zurückgekehrt und hatte nichts unternommen. Was hätte es gebracht? Es war sinnlos, hoffnungslos ...
hilflos ...
Sie hob die Hände an den Mund und drückte fest zu.
Sie sieht zu, hör auf ... !
    Sie richtete sich auf und beugte den Kopf, damit die Kapuze des Kaftans ihr Gesicht verbarg. Die Spione der Königin, die Augen der Königin, waren überall, besonders – da war sie sicher – in diesem Stadthaus. Sie spürte ihre Berührung wie unreine Hände, wohin sie auch ging, was sie auch tat. In ihrer alten Wohnung hatte sie wenigstens noch die Freiheit besessen, ein Mensch zu sein, sie selbst zu sein und nach ihrem Erbe zu leben ... die Freiheit, ihre puritanische Uniform abzustreifen, und nackt umherzugehen, wenn sie Lust dazu hatte, was ihr auch auf ihrem Heimatplaneten möglich gewesen war, was ihr Volk schon seit Jahrhunderten tat. Aber hier war sie immer auf dem Präsentierteller, zur Freude der Königin, und hatte Angst davor, sich physisch oder psychisch zu entblößen, damit die Weiße Hexe ihren Spaß daran haben konnte.
    Sie hob den Bandleser auf, der zu Boden gefallen war, und den sie angestarrt hatte, ohne das Buch über Ultraschallanalyse zu sehen, das sie schon seit Wochen lesen wollte. Sie war noch nie eine Freundin von Literatur gewesen, gleich in welcher Form. Sie hörte jeden Tag so viele Lügen auf der Straße, daß sie nichts für Leute erübrigen konnte, die davon lebten. Doch auf Tatsachenberichte konnte sie sich nicht mehr konzentrieren. Und sie konnte auch nicht so ohne weiteres in Phantasiewelten entfliehen – wie BZ das so leicht und ohne Schuldgefühle getan hatte. Aber Kharemoughitech zu sein, bedeutete ohnehin, in einer Phantasiewelt zu leben, in der jeder seinen Platz kannte, man selbst aber immer ganz oben war. Wo das Leben wie eine perfekte Maschinerie ablief ... aber diesmal war die Maschine kaputtgegangen, und das Chaos, das draußen lauerte, hatte einströmen können, um ihn zu vernichten.
    Sie stellte sich das explodierende

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