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Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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leben sie heutzutage nur noch anläßlich der Bälle auf, die eigentlich gar nicht so sehr der Begrüßung des Premierministers gelten, sondern dem Erhalt unseres Erbes.«
    »Oh.« Das Geschichtsbild des Wintervolkes, in dem die Herrin völlig fehlte, verwirrte und sorgte ihn immer noch, wenn er das auch nie zugab.
    »Wie auch immer, manches ist ganz einfach wegen seiner Einfachheit schön. Denk doch nur an eine sich öffnende Blüte, oder ein Lied, das du spielst, oder einen Regenbogen ... oder denk an die Liebe.«
    »Was wäre, wenn es plötzlich keine Regenbogen mehr gäbe ...
Wie immer angesichts solcher Erinnerungen, biß Funke sich auf die Lippen. »Ich glaube, es wäre dann einfach dumm, an sie zu denken und traurig zu sein, weil sie verschwunden sind.«
    »Das ist menschlich.« Sie wog den Kopf rätselhaft, als lauschte sie seinen Gedanken. »Aber für den Künstler ist das Schaffen die wahre Freude. Fühlt man etwas unter seinen Händen wachsen, dann wächst man mit ihm. Man lebt, Energie fließt. Ist es beendet, dann hört es auf zu wachsen. Man hört auch auf zu leben. Und man verzehrt sich schon nach dem nächsten Schöpfungsakt. Empfindest du nicht auch so, wenn du deine Musik spielst?«
    »Doch.« Er griff nach seiner Flöte und strich mit den Fingern an den haarfeinen Rissen entlang, die zurückgeblieben waren, nachdem sie sie für ihn wieder zusammengesetzt hatte. Sie hatte ihre Arbeit so gut getan, daß der Klang sich kaum verändert hatte. »Schätze schon. Ich habe noch nie darüber nachgedacht, aber ich schätze schon.«
    »Die blauvioletten Schwingen, bitte. danke. Ich weiß gar nicht, wie ich bisher ohne dich auskommen konnte.« Malkin strich an Fates Hüfte entlang und hüpfte ihr in den Schoß, wo das Tier mit dem Saum ihrer Bluse spielte.
    Funke lachte. Es war ein hohes, mißbilligendes Geräusch, das ihr verriet, daß die Wahrheit zur Oberfläche strömte. Ungeachtet der Vorhersage, die sie bei ihrer ersten Begegnung gemacht hatte, war die Konkurrenz der zahllosen Vergnügungen des Labyrinths zu stark für seine leise Inselmusik. Er verdiente mit seinen Liedern kaum genug, um sich ernähren zu können. Er inhalierte die exotischen Gerüche vom Gewürzladen gegenüber, dann die des Schamanenrestaurants nebenan. Hätte sie ihm nicht in ihrem Hinterzimmer Zuflucht gewährt, dann würde er jetzt nicht unter den Blicken tausender Geistermasken ruhen, sondern in der Gosse – oder an noch schlimmeren Orten.
    Er sah sie an, dankbar, daß sie ihn gezwungen hatte, zur Polizeistation der Außenweltler zu gehen, um seine Aussage gegen die Sklavenhändler zu machen. Er erinnerte sich an den überraschten Gesichtsausdruck der Blauen, die ihn gerettet hatte, ihn doch noch einmal wiederzusehen, aber auch an seinen eigenen, schuldbewußten Blick. Er seufzte. »Werden die Außenweltler nach dem nächsten Ball wirklich ihre Sachen packen und mir nichts, dir nichts verschwinden? Alles zurücklassen, was sie hier aufgebaut haben? Das ist kaum zu glauben.«

    »Ja, fast alle werden gehen.« Sie flocht eine Kordel aus goldener Schnur. »Ihre Vorbereitungen sind bereits angelaufen – wie unsere auch. Wenn du hier aufgewachsen wärst, könntest du die Veränderungen spüren. Stimmt dich das traurig?«
    Er blickte auf, weil das nicht die Frage war, mit der er gerechnet hatte. »Ich ... ich weiß nicht. Jeder Angehörige des Sommervolks erzählte von der Veränderung als einem großen Ereignis, nach dem wir wieder uns selbst überlassen sein werden. Ich hasse es, wie die Außenweltler das Wintervolk mit unnütz viel Prunk blenden und sich nebenbei nehmen, was sie haben wollen, um uns dann einfach so wieder zu vergessen.« Seine Hand umklammerte das Medaillon. Er stieß mit den Fingern durch seine Öffnungen. »Aber ...«
    »Aber auch du warst von dem Prunk geblendet, wie wir alle.« Sie löste den Knoten der Kordel wieder und streichelte Malkins schlafende Gestalt.
    »Ich ... «
    Lächelnd betrachtete sie ihn mit ihrem dritten Auge. »Was ist daran so schlimm? Nichts. Du hast mich einmal gefragt, ob es mir nicht leid tut, unsere Welt nicht verlassen zu können, wo man doch vielleicht anderswo meine Blindheit würde heilen können. Du bist der festen Überzeugung, es müßte mir leid tun, daß ich diese Sensoren trage und mich mit Halbsicht anstelle voller Sehkraft zufriedengeben muß. Mit normalen Augen würde ich das vielleicht ebenso sehen. Aber ich sehe mit blinden Augen – und für mich ist das

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