Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
unbehaglich schweigsamen Silky, der sich zwischen so vielen Fremden überhaupt nicht wohlzufühlen schien. Sie blickte zum Fenster hinaus, während sie Straße um Straße der interstellaren Kommune passierten, wo Elsevier mit Silky und Cress – und jetzt auch ihr – ein Apartment in der eleganten Klaustrophobie des Gettos über Kharemough teilte. Sie hatte sich bereits verirrt. Sie verstand das Muster der Stadt ebensowenig wie die Gebräuche der Leute, die sie bewohnten. Sie wußte nur, daß es sich um einen hohlen Ring handelte, in dessen Mitte sich der Sternenhafen befand. Im Sprachschatz der Kharemoughi war die Kommune über ihrer Welt der »Diebsmarkt«, und die dort Ansässigen akzeptierten den Namen mit amüsierter Perversität. Kharemough dominierte in der Hegemonie, weil dort die ausgeklügelsten künstlichen Waren hergestellt wurden, und Elsevier hatte ihr gegenüber einmal – nicht ohne Stolz – bemerkt, daß »Diebsmarkt« mehr Wahrheit als Verleumdung war.
»Aber wie wurdest du dann ... warum bist du dann nach Kharemough gekommen?« hatte sie gefragt, als Elsevier nicht fortfuhr. Es war ihr immer unwahrscheinlicher erschienen, daß diese sanftmütige und sensible Frau sich für eine Karriere entschieden haben würde, die jemanden verletzte – und gar das Gesetz.
»Oh, Mond, wie ich meine Masken und meine Respektabilität verloren habe, das ist eine lange, traurige und ermüdende Geschichte.« Aber Mond entging das Zucken ihrer Mundwinkel keineswegs.
»Falsche Bescheidenheit.« Cress saß im Sitz vor ihnen und hatte beide Hände gegen die Brust gepreßt. Er war erst seit zwei Tageslichtperioden aus dem Hospital entlassen.
»Cress, geht es dir gut?« Elsevier berührte seine Schulter.
»Ausgezeichnet, altes Mädchen.« Er grinste. »Alles in Butter.«
Sie stieß ihn an und lehnte sich in hilfloser Resignation zurück. »Nun gut. Ich komme von Ondinee, Mond, das ist eine Welt, die dir möglicherweise noch unwahrscheinlicher als Kharemough erscheinen würde. Ganz bestimmt, obwohl der technologische Stand dort nicht ganz so hoch ist. Die Frauen meiner Welt ermutigte man nicht dazu ...«
»Erzog«, sagte Cress dazwischen.
»... ein eigenes Leben zu leben, wie du es immer gekannt hast.« Ihre Stimme erhob sich über das Murmeln wie Rauch über den Stadtdunst einer anderen Welt, in ein Land, das von den pyramidenförmigen Tempelruinen einer uralten Religion beherrscht wurde. Es war ein Land, in dem Frauen wie Waren ge- und verkauft wurden und in getrennten Gemächern von der Familie leben mußten, abgeschieden von den Männern, die nicht ihre Partner sondern ihre eifersüchtigen Herrscher waren. Ihre Leben folgten engen, seit Generationen begangenen Pfaden. Sie führten einen Lebenswandel, der zwar keine Erfüllung bot, aber auf beruhigende Weise vorhersehbar war.
Ein aufgewecktes Mädchen namens Elsevier
Gehorsam –,
war den ausgetretenen Pfaden der Tradition ebenfalls gefolgt, von Larven bedeckt, die ihre ganze Gestalt vor den Menschen verbargen, und war des öfteren mit den Grundsätzen des Rituals angeeckt, ohne aber ihr Leben aus der nötigen Entfernung selbst beurteilen zu können, um sich nach dem Grund zu fragen. Bis eines Tages ihre Neugier sie von den vertrauten Pfaden neben den Särgen ihrer verstorbenen Ahnen weggelockt hatte. Sie hatte sich zu einer Menge gesellt, vor der ein verrückt gewordener Außenweltler etwas von Freiheit und Gleichberechtigung gebrüllt hatte. Er war wie von Sinnen die Stufen des großen Tempels von Ne'ehman emporgestiegen, während eine Gruppe radikaler Jugendlicher jedem Vorübergehenden Flugblätter in die Hände gedrückt oder unter die Kleidung geschoben hatte. Doch der Mob war aufsässig und tobsüchtig geworden, daher waren die ruchlosen Sicherheitskräfte der Kirche herbeigeeilt, um ihn zu vertreiben, und in der darauffolgenden Panik hatten sie alle, die sie in die Finger bekommen konnten, in ihre schwarzen Fahrzeuge verladen.
So war es auch Elsevier ergangen, sie lag, zusammengepreßt vom Gewicht zahlloser Körper, in einer Ecke des Wagens. Dort kauerte sie schluchzend, getreten und mit zerrissener Larve, hysterisch vor Angst und den Tod im Nacken. Doch plötzlich hatten sie kräftige Hände emporgezogen, auf die Füße gestellt und gegen die Wand gepreßt. Starr vor Entsetzen hatte sie den Eindruck gehabt, die Welt um sie herum würde zu Wasser zerfließen, und mit ihr ihr Körper .. .
»Werd' jetzt nicht ohnmächtig, um Himmels willen! Ich kann
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