Tief im Hochwald - Kriminalroman
Schwiegermutter oft ausgeholfen hatte. Die ganze Familie war beliebt, und das Dorf trauerte aufrichtig mit ihr.
Vanessa saß in einer der hinteren Bankreihen der geräumigen Kirche und überblickte beinahe die gesamte Gemeinde. Der Chor hatte sich auf der Empore aufgestellt und begleitete die Trauerfeier würdevoll. Pastor Lämmle fand persönliche Worte und spendete den Hinterbliebenen Trost. Vanessa sah, dass viele Schultern vom Weinen bebten. Johannes Nert saß direkt hinter Maria und Hermann Jungblut neben seinem Vater, der ihm liebevoll die Hand auf den Arm gelegt hatte. Wieder einmal hatte Lenny ihren Mann nicht begleitet. Die Trauernden in den ersten drei Reihen hielten jeweils eine rote Rose in den Händen.
»Lasst uns der lieben Verstorbenen im stillen Gebet gedenken«, forderte Pastor Lämmle gerade auf, als irgendein Handy mit der Melodie von »Tears in Heaven« die Stille zerriss. Die Gemeinde begann unruhig zu tuscheln. Vanessa versuchte den Ursprung der Störung zu orten. Sie ließ den Blick schweifen und sah, wie neben Johannes ein junger Mann aufstand, den sie in seinem schwarzen Anzug zunächst nicht erkannt hatte. Als er durch den Mittelgang an ihr vorbei zum Kirchenportal eilte, erkannte Vanessa in ihm den jungen Metzger Thomas Jungblut. Mit beiden Händen malträtierte er das Telefon, ohne es jedoch zum Verstummen zu bringen.
»Die arme Vera, dass sie von ihrem Sohn bei der Beerdigung so blamiert wird!«, zischte eine Frau vor Vanessa ihrer Nachbarin zu.
Der weitere Gottesdienst verlief ohne Zwischenfälle. Als Pastor Lämmle mit der Gedenkfeier fertig war, stand am Ausgang der Kirche Herr Engel vom Bestattungsinstitut aus Hermeskeil und nahm Beileidskarten entgegen. Sein Mitarbeiter hatte einen Lautsprecher in der Hand und begleitete den Pastor nach draußen, zwei weitere Mitarbeiter schoben den Wagen mit dem blumengeschmückten Sarg quer über den ganzen Friedhof bis zu einer besonders schönen Stelle unter einer Linde. Die drei Angestellten wurden sichtlich nervös, weil der vierte Mann, der dringend gebraucht wurde, um den Sarg zu tragen und abzusenken, nirgendwo zu sehen war. Einer der Männer gestikulierte wild in Richtung von Herrn Engel, der den Gesichtszügen nach ein Bruder des Apothekers sein musste. Vanessa stand ein wenig abseits, um die Trauergemeinde zu beobachten, ohne sie zu stören. Die Gemeinde war vielleicht vier Meter vor dem Grab zum Stehen gekommen. Von hinten schoben immer mehr Leute nach, aber vorn ging es nicht weiter. Der Pastor wurde unruhig, er blickte um sich und bat um das Mikrofon. Dann begann er, mit der Gemeinde einen Rosenkranz zu beten, was Vanessa, die zwar evangelisch war, aber schon an einigen katholischen Bestattungen teilgenommen hatte, immer noch seltsam vorkam. Der Bestatter redete wild auf einen Mann im vorderen Bereich des Trauerzuges ein, der daraufhin auf Heiner Landscheid zeigte. Landscheid wiederum suchte mit seinem Blick nach Vanessa und winkte sie zu sich heran. Der Pastor betete stoisch weiter.
Vanessa trat mit Landscheid an das offene Grab und erstarrte. In rund zwei Metern Tiefe lag ein lebloser Körper mit dem Gesicht nach unten, vermutlich der fehlende vierte Sargträger. Pastor Lämmle bat die Gemeinde um Verständnis, die Verstorbene habe um eine Beisetzung in aller Stille und im engsten Kreis gebeten. Sie hätten die Heimgegangene nun zu ihrer letzten Ruhestätte begleitet, und nun mögen sich alle ein weiteres Mal zu einer Andacht in der Kirche versammeln. Die Trauergemeinde redete verständnislos in gedämpftem Tonfall durcheinander, die Angehörigen sahen sich fragend an, aber niemand widersprach dem Pastor. Nur hinter vorgehaltener Hand hörte Vanessa ein »Das hätte es beim alten Pastor nicht gegeben«.
Herr Engel und seine drei Mitarbeiter stellten sich als Sichtschutz vor dem offenen Grab auf, und die Gemeinde zerstreute sich unter lautem Gemurmel. Im Stillen dankte Vanessa für Lämmles Geistesgegenwart.
Arme und Beine waren so grotesk verdreht und der Körper lag so reglos auf dem Boden der Grube, dass Vanessa nicht den Eindruck hatte, sie müsse als Erstes überprüfen, ob der Mann noch lebte. Dagegen sprach auch die klaffende Wunde in seinem Nacken, die von der Schaufel herrühren dürfte, die unweit der Grabstätte in einem Erdhügel steckte.
»Keiner betritt die Unfallstelle, Landscheid, sperren Sie die Grabstätte bitte weiträumig ab und sorgen Sie dafür, dass niemand die Schaufel berührt.« Vanessa nestelte ihr
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