Tiefe
hin und starb, und nun waren sie wenn möglich noch einsamer.
Im Dezember, am Morgen des Weihnachtstags, ein halbes Jahr nach ihrer Ankunft auf Halsskär, trat die Katastrophe ein. Sie hatten kurz vor Weihnachten Heringsnetze ausgelegt, als das Wetter kalt und klar war und nur eine leichte Brise von Süden wehte. Die Netze lagen bei zwei Gründen, nicht allzu tief, so daß es nicht so vieler Senksteine bedurfte, um sie an ihrem Platz zu halten. Gerade dort hatten sie seit Anfang Dezember gute Fänge gemacht. Da die Gründe keinen Namen besaßen, hatte Nils Ferdinand zum Scherz den einen auf Sarastein getauft, den anderen auf Fredrikas Grund.
In der Nacht zum 25. Dezember kam der Sturm. Er kam aus Süden, er fiel über sie her, mit dichtem Schneegestöber als Vorhut. In der Morgendämmerung sahen sie, daß sie die Netze verlieren würden, wenn sie nicht hinausfuhren, um sie zu bergen. Es war ein harter Sturm, aber sie zögerten nicht, sie hatten keine andere Wahl, fuhren mit dem Boot hinaus und schafften es, eins der Netze zu bergen. Da schlug eine Welle über Steuerbord herein und brachte das Boot zum Kentern.
Als es Sara Fredrika gelang, aus der treibenden Kiste herauszukommen, sah sie ihren Mann. Er hatte sich in dem Netz verstrickt, das er zu bergen versuchte, es war wie ein Meeresungeheuer, das sich um ihn schlang. Er zappelte und schrie, wurde aber hinabgezogen, und sie konnte nichts anderes tun, als mit Hilfe eines Ruders und der Ducht, die abgebrochen war, an Land zu paddeln und halb erfroren zum Haus hin-aufzukriechen.
Mehr sagte sie nicht. Es hatte zu dämmern angefangen, als sie verstummte. Die Schatten breiteten sich aus.
Er saß auf seinem Hocker und sah zu, wie sie eine Suppe kochte. Sie aßen schweigend. Lars Tobiasson-Svartman dachte: Es muß sein, als starrte man direkt in die Hölle hinein. Einen Menschen, den man liebt, schreiend sterben zu sehen.
Nachts lag er auf dem Boden neben dem Kamin. Seine Bettstatt bestand aus dem Fell des verrückten Fuchses, aus Flickenteppichen und Robbenfellen. Unter dem Kopf hatte er ein paar Holzscheite mit seinem Pullover als Überzug. Er breitete den Ölmantel über sich aus und fürchtete, der Zug vom Boden her würde ihn krank machen.
Sie hatte ihm das Bett angeboten. In einem schwindelerregenden Augenblick hatte er geglaubt, sie wolle es mit ihm teilen. Ahnte sie vielleicht seinen Gedanken ? Das konnte er nicht erraten. Sie schob ihre Haare aus dem Gesicht und fragte noch einmal. Er schüttelte den Kopf, er konnte auf dem Boden schlafen.
Sie rollte sich in eine dicke Decke, die wahrscheinlich mit den Daunen von Vögeln gefüllt war, die sie selbst geschossen hatte. Sie drehte ihm den Rücken zu. Ihr Atem wurde tiefer, sie schlief. Als er die Holzklötze unter seinem Kopf zurecht-schob, hörte er, daß sie aufwachte, horchte und dann wieder einschlief.
Ich stelle keine Gefahr für sie dar, dachte er. Ich bedeute keine Verlockung, überhaupt nichts.
Draußen tobte der Sturm noch ungebrochen. Der Wind kam und ging in kräftigen Böen.
Er dachte an seine Frau, wie sie sich in den warmen Räumen in der Wallingata bewegte. Vermutlich war sie noch wach. Abends ging sie gewöhnlich noch einmal durch die Zimmer und strich mit den Fingern über die schweren Vorhänge am Fenster, rückte Tischtücher zurecht, glättete eine Falte in einem Teppich.
Er suchte nach Abstand, ihm war es lebenswichtig, zu kontrollieren, wo er sich in der Beziehung zu anderen Menschen befand. Seine Frau suchte nach Unregelmäßigkeiten, um sie zu beseitigen.
Bevor sie die Tür des Schlafzimmers hinter sich zumachte, kontrollierte sie, daß die Haustür zugesperrt war und daß das Dienstmädchen in seiner Kammer hinter der Küche das Licht gelöscht hatte.
Ihm fiel es plötzlich schwer, ihr Gesicht in der Dunkelheit vor sich zu sehen. Es lag im Dunkel der Erinnerung, er konnte sie nicht erreichen. Auch ihre Stimme konnte er nicht hervorrufen, den angespannten, etwas harten Klang und das leichte, kaum merkliche Lispeln.
Er setzte sich auf. Von der Frau auf der Pritsche kam ein kurzes Schnarchen. Er hielt den Atem an.
»Ich liebe meine Frau«, flüsterte er leise, »aber auch die Frau, die in dem Bett ganz nahe bei mir schläft. Oder jedenfalls begehre ich sie und empfinde Eifersucht auf den Mann, der schreiend starb, verstrickt in ein Heringsnetz. Ich hasse die verdammte Pfeife, die sie in ihrem Schrank versteckt.«
Wieder war da die Versuchung, zu ihr ins Bett zu hatte er nicht
Weitere Kostenlose Bücher