Tiffany Duo Band 0149 (German Edition)
Er durchwühlte seinen Rattanschreibtisch, um schließlich mit einem Triumphschrei eine zerknitterte Straßenkarte hervorzuziehen. Als er sich zu ihr umdrehte, tat sie so, als ob sie die ganze Zeit über mit Inky gespielt hätte.
“Ich habe sie auf den Schultern des Anführers einer Straßenbande gesehen”, erzählte er und breitete die Karte auf dem Tisch aus. Dann zündete er sich eine Zigarette an und setzte sich. “Sie war noch ein Baby. Ich dachte mir, dass sie bei denen nicht alt werden würde. Also habe ich sie gekauft – mit dem Plan, sie freizulassen, wenn sie größer ist.” McCall zögerte. “Aber dann dachte ich, dass sie in Freiheit vielleicht verhungern würde; schließlich war sie noch so jung, als man sie einfing. Und jetzt ist sie eben hier.”
“Und was ist aus ‘Leben und leben lassen’ geworden?”, fragte Ellie sanft und wandte sich dabei an den Wickelbär. Wieder bebte sie – diesmal aber, weil Inky sich drauf und dran machte, ihren Nacken mit der Schnauze zu erkunden.
McCall knurrte etwas Unverständliches. “Ich halte mich nicht immer daran”, meinte er düster. “Anfälle vorübergehenden Wahnsinns.”
“Ach so”, murmelte sie und zuckte zusammen. Inky schnüffelte nämlich an ihrem Nacken. Hoffentlich bemerkt er nicht, wie hart und steif meine Brustspitzen sind, dachte sie. Sie wagte es nicht, ihn anzuschauen. “War es auch ein Anfall, den Jungen davon abzuhalten, sich mit meiner Tasche aus dem Staub zu machen?”
“Mann, was weiß ich!” McCalls Stimme klang rau. “Was hätte ich tun sollen? Ihn davonlaufen lassen? Ich war eben da, im Weg sozusagen.”
Ein glücklicher Umstand.
“Und gestern Abend in ‘Josés Cantina’?”
“Zufall”, knurrte er. “Ich wollte nur meinen üblichen Schuss Tequila. Ging also in meine Stammkneipe, und da waren Sie. Und über Ihnen stand geschrieben: ‘Dumme Touristin – bitte ausrauben’.”
Ellies Wangen glühten vor Hitze; das Kribbeln in ihrem Bauch wurde immer stärker. Ihre Brustspitzen hatten sich so sehr zusammengezogen, dass sie ihr fast wehtaten. Mit einer kaum hörbaren Stimme fragte sie ihn: “Und heute? Sie sagten, dass Sie mir gefolgt sind. Das konnte kein Zufall gewesen sein …”
“Hundertprozentiger Wahnsinn.”
“Sie hätten mir nicht helfen müssen.” Sie nahm sich zusammen und blickte McCall an. “Sie hätten einfach davongehen können. Warum haben Sie es nicht getan?”
Nicht nur Ellie, sondern auch Inky, die sich McCall ebenfalls zugewandt hatte, schien auf seine Antwort zu warten. Er sah zuerst auf den Wickelbär, schaute dann auf und blickte Ellie an. Dabei hob er die Mundwinkel zu einem sarkastischen Lächeln. Eine Antwort gab er keine; das war auch gar nicht nötig. Sein Blick und das Lächeln sprachen Bände.
Er wollte mich wie den Wickelbär retten, dachte Ellie. Ich hatte in seinen Augen auch keine Chance im Freien.
“Nun endlich her mit dem Umschlag”, sagte er plötzlich. “Mal sehen, wo wir überhaupt hin müssen. Und dann fahren wir zu Ihrem Schiff, damit Sie Ihre Sachen abholen können.”
6. KAPITEL
“Hallo, Mom. Ich bin es.”
“Ellie!” Lucy schnellte hoch und winkte wild Mike zu, der schon auf dem Weg war. “Schatz, ich bin ja so froh, dass du anrufst.”
Dein Vater und ich haben uns Sorgen um dich gemacht.
Aber das sagte sie natürlich nicht; sie wusste, dass Ellie es nicht mochte. Also versuchte Lucy, so unbekümmert wie nur möglich zu fragen: “Wie ist eigentlich die Sache … Wie ist es ausgegangen?”
“Gerade deswegen rufe ich an. Ich glaube, es klappt, Mom. Also braucht ihr euch keine Sorgen zu machen, okay?” Es folgte eine kurze Pause. “Das Problem war, dass mein … mein Partner krank wurde. Es sah ganz so aus, als ob ich alles allein machen müsste. Aber jetzt habe ich jemand gefunden, der mir helfen wird.”
“Das ist ja gut”, erwiderte Lucy. Sie wartete, blickte ihren Mann an und bohrte dann vorsichtig nach: “Dieser neue Partner. Kennst du ihn?” Verdammt, wie schwer es doch war, Mutter von Erwachsenen zu sein. Welche Fragen durfte man nun stellen und welche nicht? Wie viel Fürsorge durfte man zeigen, ohne dass man dem Kind auf die Füße trat? Wieder sah sie Mike an – diesmal eher um Unterstützung bittend –, ehe sie mutig hinzufügte: “Kannst du ihm vertrauen?”
Für einen Augenblick herrschte Schweigen. Schließlich sagte Ellie nachdenklich: “Ich glaube schon, Mom.”
Warum hat sie meine erste Frage nicht beantwortet, fragte
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