Tiffany Duo Band 128
es damals ja selber kaum geglaubt.
Jetzt, nachdem sie älter und viel klüger geworden war, war es ihr unverständlich, wie sie so naiv hatte sein können.
Neues Misstrauen erfasste sie. War dieser Evan Henderson wirklich, was er behauptete? Oder war er von einem der Talk-Show-Gastgeber oder Zeitschriftenredakteure geschickt worden, die Mrs. McNabb ständig belästigten?
Evan bemerkte ihren fragenden Blick und erwiderte ihn ebenso. Er legte den Arm in das offene Fenster und streckte die Beine so weit aus, wie es der Schalthebel und das verrostete Bodenblech erlaubten.
„Sie kommen mir bekannt vor. Aber ich bin sicher, dass wir uns nie persönlich begegnet sind. Daran würde ich mich erinnern."
Sie sich ebenfalls. Obwohl sie nach ihrer Erfahrung mit Doc von Männern im Allgemeinen und von aalglatten Charmeuren im Besonderen genug hatte, hätte sie diesen Evan Henderson nicht vergessen. Schließlich war sie nicht gefühllos, sondern nur scheu und vorsichtig geworden.
„Vielleicht sind wir irgendwo auf der Straße zusammengetroffen", sagte Evan, als sie nicht antwortete. „Waren Sie jemals in San Diego?"
Lissa knirschte insgeheim mit den Zähnen. Sie wollte keinen Small Talk mit diesem viel zu gut aussehenden Fremden. Aus eigener bitterer Erfahrung wusste sie jedoch, dass eisernes Schweigen gegen die Hartnäckigkeit und die bohrenden Fragen eines Juristen nichts ausrichtete. Außerdem würde sie nur Hendersons Neugier wecken, wenn sie schwieg.
„Nein."
„Oder in Flagstaff?"
„Nein."
Evan legte den Kopf auf die Seite. „Besonders gesprächig sind Sie nicht, Miss ... Lissa."
„Nein."
Seine blauen Augen funkelten vergnügt und machten sie nervös.
„Also gut. Ich werde mich einfach zurücklehnen und den Anblick genießen."
Lissa hätte ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen. Nur weil sie den Mann mitgenommen hatte, brauchte sie sich nicht dieselben sexuellen Anspielungen gefallen zu lassen wie damals, als Doc seinen sechzehnjährigen Schützling in Pailletten und Flitter gesteckt und als sinnliche Lolita ausgegeben hatte.
Sehr zu ihrem Kummer stellte sie kurz darauf fest, dass Henderson nicht ihre winzigen Shorts und das ärmellose Top gemeint hatte, sondern den Anblick der Landschaft. Er wandte den Kopf ab und zeigte ihr sein markantes Profil. Der Wind fuhr in sein Haar, das jetzt, nachdem der Schweiß getrocknet war, eher tabakbraun als nerzfarben aussah. Winzige Fältchen bildeten sich in seinen Augenwinkeln, als er wegen des grellen Lichts ein wenig blinzelte.
Trotz der schmerzlichen Lektion, die sie vor drei Jahren gelernt hatte, konnte Lissa einen Anflug von weiblicher Bewunderung nicht verhehlen. Dieser Evan Henderson war wirklich ein toller Hecht.
Entschlossen drückte sie das Gaspedal tiefer durch. Je schneller sie den Mann nach Paradise schaffte, desto früher wurde sie ihn los.
Lissa fuhr die einzige Straße des Ortes entlang und überlegte, wie die verlassene Stadt auf jemanden wirken musste, der sie zum ersten Mal sah. Die Fenster des ehemaligen Rathauses und Postamtes waren vernagelt. Ein windschiefes Schild, dessen Buchstaben der Wüstensand längst abgerieben hatte, hing an einer Ecke am früheren Coffeeshop.
Henderson stieß einen leisen Pfiff aus. „Das ist ja eine Geisterstadt."
„Beinahe. Nur wenige Leute sind geblieben, nachdem die Bauxitmine geschlossen wurde."
Genauer gesagt, drei oder vier Alte, die den Aufstieg und die Blüte der fünfziger Jahre miterlebt hatten. Außerdem ein ehemaliges Zigarettenmädchen aus Las Vegas, das die Glitzerstadt verlassen hatte, nachdem ihr Mann nach einwöchiger Ehe bei einem Kartenspiel tot umgefallen war. Und Charlie Haines, der den einzigen Laden besaß, der noch geöffnet war - eine Mischung aus Werkstatt, Restaurant und Bar.
Die kleine Gemeinde hatte Lissa aufgenommen, ohne viele Fragen zu stellen. Sicher, einige hatten die Nase gerümpft, als sie in den baufälligen Wohnwagen am Stadtrand zog. Doch sie war allen Fragen ausgewichen, bis die Leute aufgaben und sie sich sicher fühlen konnte. Sicher und wunderbar anonym. Kein Außenstehender durfte in ihre Zuflucht dringen.
Erst recht nicht dieser Außenstehende.
Sein markantes Gesicht gefiel ihr nicht. Auch nicht sein Beruf. Und, schon gar nicht, dass er tief in ihrem Innern etwas anrührte, das für immer verborgen bleiben sollte.
Lissa hatte keinen Mann mehr begehrt, seit ... Energisch presste sie die Lippen zusammen und zwang sich, den Gedanken zu Ende zu denken. Seit Doc.
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