Tiffany Duo Band 77
Ahnung. Dieser Mann litt, und sein Schmerz hatte nichts mit seinem blauen Auge zu tun.
Sam Triver brauchte jemandem, mit dem er reden könnte. Sie konnte nur hoffen, daß er klug genug wäre und einen Zuhörer in sein Leben ließ.
„Schlaf", flüsterte sie. „Schlaf und träum." Dann löschte sie das Licht und ging leise hinaus.
Sam träumte nur selten. Meistens war sein Schlaf schwarz und leer, als ob sogar sein Unterbewußtsein sich gegen so ungreifbare Dinge wie Wünsche, Sehnsüchte und Gefühle sperrte. In dieser Nacht aber ließ er sich auf dem Strom treiben, trat eine Reise in sein Inneres an, eine Reise, die in der Zeit zurückführte...
„Er ist tot. Er ist nicht mehr da. Der Junge muß sich daran gewöhnen - je eher, desto besser."
Der siebenjährige Samuel Triver saß auf der obersten Stufe der Eichentreppe mit dem auf Hochglanz polierten Geländer. Er fror in seinem dünnen Pyjama, aber er saß mucksmäuschenstill und lauschte auf die Stimmen im „Salon", dem Zimmer mit den wertvollen Möbeln, in das er nie hineindurfte. Dort unten sprach seine Mutter mit Onkel Charlie.
„Marjorie, findest du nicht, daß das eine ziemlich kalte Einstellung ist?"
„Die Welt ist kalt und grausam, lieber Bruder. Das weißt du so gut wie ich, und es ist besser, er lernt es auch."
Der kleine Samuel rieb sich die Augen und gähnte. Er verstand überhaupt nichts. Wo war sein Daddy? Er war nicht nach Hause gekommen, und dabei wollten sie doch die neuen Bäume pflanzen. Und er war nicht einmal da, um ihm „Gute Nacht" zu sagen.
„Also, was wirst du nun tun, Marjorie?"
„Tun?"
„Nun, du wirst alles von Jack erben, auch die Firma."
„Ja, aber ich beabsichtige nicht, eine gestreßte Geschäftsfrau zu werden. Die Zeit fliegt, wie du weißt. Wenn Samuel erst erwachsen ist, wird er das Ding leiten."
„Und was, wenn er andere Berufswünsche hat?"
„Er wird tun, was ich ihm sage. Beziehungsweise was seine Lehrer ihm sagen, und die werde ich entsprechend instruieren."
„Was willst du damit sagen?"
„Ich will damit sagen, daß ich noch jung bin. Du weißt über die Probleme Bescheid, die Jack und ich hatten. Ich will mein Leben nicht als trauernde Witwe verbringen. Der Junge kommt aufs Internat und..."
„Laß ihn bei mir leben. Ich wäre glücklich, wenn ich meinen Neffen..."
„Du? Du bist ein eingefleischter Junggeselle und mit deiner Zeitung verheiratet. Wann hättest du wohl Zeit für Samuel? Nein, der Junge soll ein Gentleman werden. Und er braucht Disziplin. Die Militärakademie von Allegheny ist genau das Richtige für ihn."
„Das hätte Jack bestimmt nicht gewollt. Gib Samuel zu mir."
Der Junge auf der Treppe hörte das Klirren eines Glases auf dem Tisch und dann die ärgerliche Stimme seiner Mutter. „Ich verbitte mir diesen Ton, Charlie. Samuel ist mein Kind, ich habe die Erziehungsgewalt, und was ich sage, gilt."
Samuel rannte in sein Zimmer. Er haßte es, wenn seine Mutter so böse sprach. Er kroch in sein Bett und zog sich die Decke über den Kopf. Anscheinend würde Daddy heute nicht mehr kommen und ihm „Gute Nacht" sagen.
Der Ballsaal im Country Club war vom Strahlen der Kronleuchter, von Tanzmusik und Stimmen erfüllt. Die gesamte High Society von Pittsburgh hatte sich zu dem Sommerball eingefunden, einschließlich der jungen Generation, die die ersten Schritte in die Gesellschaft tat.
Der Teenager Samuel Triver zupfte am Kummerbund seines Smokings. Voll Unbehagen sah er eine Gestalt im Saint Laurent-Abendkleid auf sich zu schweben, und dann hörte er die leise, eindringliche Stimme seiner Mutter: „Was ist mit dir? Warum tanzt du nicht?"
„Ich... ähm..."
„Deine Tanzstunden kosten eine Menge Geld. Ich möchte gern sehen, was ich teuer bezahle, Darling."
Samuel fixierte seine auf Hochglanz polierten schwarzen Schuhe. „Es gibt hier kein Mädchen, das ich mag."
„Mag? Du mußt deine Tanzpartnerin nicht mögen. Such dir eine aus, mit der du ein gutes Bild abgibst. Ein hübsches Mädchen in einem schicken Kleid." Marjorie ließ den Blick umherschweifen und winkte einem Mann am anderen Ende des Saals zu.
Acht Jahre waren vergangen, seit Sams Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Seine Mutter hatte gerade ihre zweite Scheidung hinter sich und besuchte in einem fort Festlichkeiten wie diese, in der Hoffnung, sich einen Witwer oder frisch Geschiedenen zu angeln, oder auch einen verheirateten Mann, der Abwechslung suchte.
„Du meinst also, es kommt nicht darauf
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