Tiffany Duo Band 77
die Haustür aufriß und im Flur das Wasser von ihrer Öljacke schüttelte. Sie war fast so groß wie ihr Vater, hatte aber wie Lonnie das dunkelbraune Haar und die grünen Augen ihrer Mutter, die eine Nuance heller waren als Lonnies.
Dicht hinter seiner Jüngsten betrat Lucas Stockton das Haus, ein schlanker, drahtiger Mann mit braunen Augen und sandfarbenem, leicht ergrauendem Haar, dem man seine fünfundsechzig Jahre nicht ansah. Er trug in jedem Arm eine große braune Einkaufstüte.
„Wo warst du?" rief Carolyn, während sie ihren Schulterbeutel fallen ließ und ihren dicken, schweren Haarzopf zurückwarf.
Lonnie mußte lächeln. Schon als Sechsjährige hatte Carolyn genauso ihren Schulranzen fallenlassen und den Zopf über die Schulter geworfen. Jetzt war sie achtzehn, und Lonnie mußte sich wieder einmal klarmachen, daß ihre „kleine Schwester" fast erwachsen war.
„Ich... ähm... hatte etwas zu erledigen", erklärte Lonnie, „und wo habt ihr beiden so lange gesteckt?"
„Großeinkauf. Dabei sind wir so hungrig geworden, daß wir bei Chase's was zu essen geholt haben. Und wen haben wir getroffen? Die Dog Run Boys. Sie müssen auch gleich kommen."
Wie aufs Stichwort ging die Tür auf, und vier Männer in Jeans und karierten Holzfällerhemden kamen ins Haus marschiert und begrüßten Lonnie mit lautem Hallo.
„Hi." „Hi, Lon."
„Hallo, großes Mädchen."
„Hallo, alter Ray", gab sie zurück.
Der silberhaarige Bandleader und Texteschreiber der Dog Run Boys lachte über ihre Retourkutsche. Lonnie kannte die Vier seit ihren Kindertagen; als sie gerade Anfang Zwanzig waren und sich als Country Band einen Namen machten. Die in Pittsburgh beheimatete Gruppe hatte ihre Glanzzeit in den Siebzigern gehabt und war auf ihren Tourneen auch in Luke Stocktons Musikkneipe in Texas aufgetreten. Seit jener Zeit kannten die Männer sich und hielten Kontakt, lange nachdem die Band aufgelöst war und „Stockton's Tavern" nicht mehr existierte. Da Country Musik erneut unglaublich populär war, hatte Luke die vier „Oldies" überredet, sich wieder zusammenzutun.
Er hatte allerdings keine Ahnung von Lonnies Plänen - daß sie für ein neues „Stockton's" sparte und sich die Bühne als zweite Heimat für die Dog Run Boys dachte. Die Instrumente der Gruppe reihten sich an der Flurwand - eine Gitarre, ein Banjo, eine Mandoline, eine Fiedel, zwei Harmonikas.
Luke nahm seine alte Gitarre aus dem Wandschrank. „Laßt uns nach hinten auf die Veranda gehen, Jungs", sagte er und, zu Carolyn gewandt: „Machst du uns einen Krug Eistee, Schatz?"
Carolyn nickte und fragte dann Lonnie: „Holst du auch deine Gitarre und spielst mit?"
„Nein, ich.., ich muß euch etwas sagen..." Lonnie brach ab, als die Tür klappte und noch ein Besucher hereinkam. Ein unerwarteter Gast, den sie erst in drei Tagen erwartete. J. D. Morton trat lächelnd und mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. Sie wäre am liebsten gerannt.
J. D. warf effektvoll die Haare zurück und zog Lonnie in die Arme. „Ich dachte, du würdest dich freuen, dies hübsche Gesicht etwas früher wiederzusehen", tönte er, „besonders nach so langer Trennung - eine ganze Woche! Überrascht? Ja, du siehst ziemlich überrascht aus, aber ich muß einen Kuß haben." Und im nächsten Moment war sein Mund auf ihrem.
Und nun wußte Lonnie, wie es um ihre Gefühle zu J.D. stand. Sie fühlte nichts, absolut nichts.
Dabei sah ihr Verlobter wirklich nicht übel aus - braunes, leicht gewelltes Haar, freundliche, nußbraune Augen, schwarze Jeans, nietenverziertes Westernhemd. Eine einnehmende Erscheinung, wie immer. Aber seit seinem letzten Kuß hatte sich etwas geändert. Die Veränderung hieß Sam Triver.
Lonnies Zweifel verstärkten sich. Es spielte keine Rolle mehr, ob sie bei Sam eine Chance hatte oder nicht. Wichtig war nur, daß sie jetzt wußte, was ihr fehlte. Damit stellte sich die Frage, ob sie mit dem „Weniger" würde leben können.
Als J.D. endlich den Mund von ihren Lippen löste, versuchte sie, in seinen Augen zu lesen. Was dachte er? Was fühlte er? Aber ihm konnte es nicht schnell genug gehen. „Ich möchte mit dir allein sein", flüsterte er ihr rauh ins Ohr und zog sie am Handgelenk in Richtung Treppe.
Er will mit mir in mein Schlafzimmer! schoß es Lonnie durch den Kopf. Sie zog in die andere Richtung, stemmte die Hacken auf den Boden. „Nein!" rief sie etwas zu heftig.
J. D. lachte. „Spielst du plötzlich die keusche Braut? Die Rolle paßt nicht
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