Tiffany
und einen vergilbten Kühlschrank zu organisieren? War Tiffany bereits auf Heroin gewesen, als sie hier eingezogen war? Warum war sie überhaupt heroinabhängig geworden? Warum verschwendete man Energie auf den Erwerb von Einrichtungsgegenständen, wenn man sowieso vorhatte, sich ins Jenseits zu befördern?
Das Bett war ein einziges Chaos, hatte aber keine Blutflecken.
Ein präziser Genickschlag. Kreidestriche auf dem Fußboden. Fleur hatte nicht im Bett gelegen, als der Schlag sie traf. Sie war aufgestanden, hatte sich in einer aufrechten Position befunden und war dann seitlich zu Boden gestürzt.
Ich durchsuchte rasch die Schränke. Bart hatte Recht: Es gab nichts, was auf die Identität der Bewohnerin hätte schließen lassen, weder Briefe noch Umschläge mit Adressen oder Absendern, keine Rechnungen, keine Tagebücher, keine Notizen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Mörder das Boot so gründlich leer geräumt hatte. Wahrscheinlich vernichtete Tiffany selbst systematisch jedes einzelne Papier, das ihr in die Hände fiel, weil sie unbekannt bleiben wollte. Warum?
Auf einem Regal unter einem der Wandschränkchen standen ein paar Bücher, Emma von Jane Austen in einer billigen englischsprachigen Taschenbuchausgabe, ein altes, abgegriffenes niederländisches Peyton-Place-Taschenbuch und, eigenartigerweise, ein Kriegsroman: Die Nack ten und die Toten von Norman Mailer. Vielleicht von einem früheren Bewohner. Las Tiffany Englisch? Ich blätterte die Bücher durch, fand aber keine gekritzelten Namen, Notizen, vergessenen Zettel oder Buchzeichen darin. Ein wenig versteckt, auf einem Regalbrett zwischen Pullovern und Blusen in dem Kleiderschrank am Fußende des Bettes, lag eine kleine, ledergebundene Bibel. Tiffany? Der unbekannte Vorgänger?
Es wäre unsinnig gewesen, die Tausende hauchdünner Seiten zu durchsuchen. Eine flüchtige Inspektion ergab lediglich ein paar Tintenkleckse im Buch Esther.
Viele Kleidungsstücke besaß Tiffany nicht. Ihr reichten ein Dutzend Kleiderbügel, von denen jeweils eine Hälfte ganz nach links und eine nach rechts geschoben war, mit einem deutlichen Zwischenraum in der Mitte, als habe diese Trennung etwas zu bedeuten. Nach einer Weile dämmerte es mir, dass ich hier zwei verschiedene Leben vor mir sah, das der Hure mit den winzigen Miniröckchen und den sexy Blusen in den grellen Rosa- und Grüntönen von Plastikspielzeug, und das eines Mädchens, das sich in einer verwaschenen Jeans, einem knielangen Baumwollrock oder einem lavendelblauen Safarikostüm ganz unauffällig durch Amsterdam bewegen konnte. Dieselbe Trennung fand sich auch unten im Schrank bei den Schuhen wieder sowie im obersten Fach zwischen den Minitops und nuttig ausgeschnittenen Oberteilen auf der einen und den normalen Jacken, Blusen und Pullovern – mit der Bibel zwischen ihnen – auf der anderen Seite.
Ich wusste nichts über Tiffany. Ich hatte ihr freches Mundwerk gehört und ich hatte sie schlafend gesehen, mehr nicht. Ich schloss den Schrank und machte, dass ich wegkam.
Ich fuhr noch einmal daran vorbei, auf gut Glück. Die Uhr in meinem Armaturenbrett zeigte zehn vor zwei. Außerhalb des Straßenrands wirkte die Umgebung neblig und verschwommen, und auch dunkler, als sei in den vergangenen Stunden eine Wolke in den tropfenden Zweigen der Bäume hängen geblieben. Eine Gestalt kam auf mein Auto zu. Für einen Augenblick dachte ich, es sei Tiffany, weil sie dieselbe Größe hatte und genau so einen breiten Gürtel aus glänzendem Kunstleder trug wie sie. Ein bleiches, stark geschminktes Gesicht schaute in mein offenes Seitenfenster herein. Sie hatte runzlige Lippen, und ihre Brüste in dem schwarzen, knappen Pullover hingen schlaff über den Fensterrand.
»Ich suche Patty«, sagte ich. »Hast du sie gesehen?«
»Bumsen, ich besser«, sagte sie in gebrochenem Deutsch. Sie hätte Polin sein können.
»Patty?«, wiederholte ich.
»Scheiße. Kein Patty. Du vogeln mit Olga? Blow job?«
Hinter mir hielt ein anderer Wagen an. Olga ließ mich prompt im Stich und eilte eifrig darauf zu. Ich wollte schon weiterfahren, als ein alter Datsun knapp vor meiner vorderen Stoßstange einscherte, anhielt und eine junge Frau herausließ. Der Datsun fuhr sofort weiter. Das Mädchen blieb stehen, und als sie die rosafarbene Zuckerwatte auf ihrem Kopf zurechtzupfte, rutschte ihre Tasche am Arm bis zur Schulter hoch. Sie schaute hinüber zu meinem BMW und zu dem Wagen dahinter, wo ihre Kollegin mit dem Fahrer über
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