Tiffany
ersten Semestern sein können. Ich fragte mich, wo sie herkam, wer ihre Eltern waren und was sie mit ihrem Leben so alles vorgehabt hatte, bevor sie auf die schiefe Bahn geriet.
Es machte mich allmählich wütend, dass alle möglichen Leute über das Wie, Was und Wann Bescheid wussten, manche zweifellos sogar über das Warum, während ich selbst im Dunkeln tappte. Das Einzige, was ich wusste, war, dass hartnäckig nach Tiffany gesucht wurde und gewisse Leute Geld dafür investierten, sie zu finden. Falls ihre Eltern noch lebten, würden sie es sich vielleicht etwas kosten lassen, ihre verlorene Tochter zurück in den Schoß der Familie zu holen, aber irgendjemand hatte Fleur umgebracht, und damit kam Tifs Verwandtschaft so gut wie nicht in Frage.
Vielleicht hatte Tiffany etwas gesehen, das sie nicht hätte sehen dürfen und sollte deswegen ausgeschaltet werden. Aber was konnte ein drogenabhängiges Flittchen bemerken oder erfahren, das so gefährlich für jemanden war, dass sie deshalb liquidiert werden musste? Hatte sie die Identität eines Kunden aufgedeckt? In diesem Fall erschien mir die Reaktion ziemlich übertrieben.
Eine andere Möglichkeit bestand darin, dass Tiffany in den Besitz von etwas geraten war, das jemand um jeden Preis wiederhaben wollte. Tif mit den flinken Fingern. Hatte sie einem Freier etwas gestohlen? Die Brieftasche geklaut?
Wie, was, wo, wann. Wenn ich über das Warum Bescheid wüsste, das Motiv des Täters, könnte ich mir auch den Rest zusammenreimen. Tiffany steigt in einen dicken Audi ein, irgendetwas läuft schief, sie wird aus dem Auto geworfen. Noch in derselben Nacht wird die Jagd eröffnet, und zwar bei meinen Nachbarn von gegenüber. Aber man findet sie nicht. Etwa eine Stunde später liest ein provinziell anmutender Herr in einem Mercedes Patty auf und erfährt Tiffanys Adresse. Prompt wird Fleur auf deren Hausboot ermordet. Kurz darauf entdeckt der Täter, dass er die Falsche umgebracht hat und bedient sich Gestalten aus dem kriminellen Milieu, um die Richtige aufzuspüren.
Tiffany schien fest zu schlafen. Ich stand leise auf. Ich überlegte mir, dass der Mann im Mercedes und der Kunde im Audi wahrscheinlich nicht ein und derselbe waren, sich aber garantiert kannten. Tiffany arbeitete auf einem neuen Strich, zusammen mit einer kleinen Gruppe von Nutten. Einer der wenigen, die dem Mörder im Mercedes dahin gehend einen Tipp gegeben haben könnten, war der Kunde im Audi.
Ich ließ ein Lämpchen brennen und zog die Schlafzimmertür hinter mir zu. Ich drehte den Schlüssel im Schloss. Es widerstrebte mir zutiefst, sie einzuschließen, aber ich durfte kein Risiko eingehen. Durch das Dachfenster konnte sie unmöglich entwischen.
In einem Schrank im anderen Schlafzimmer hingen noch Kleidungsstücke, die ich in meiner Rolle als Landmensch an den freien Wochenenden bei Marga zu tragen pflegte. Ich zog saubere Unterwäsche, Jeans und einen Pullover an. Dann ging ich nach unten. Es war inzwischen kurz vor sechs. Ich setzte Kaffee auf und rief CyberNel an.
»Ich schlafe«, sagte sie mit belegter Stimme. »Wer ist da?«
»Ich bin’s, Max.«
»Was ist los?«
»Hast du diesen Mercedes überprüft?«
»Er wurde gestern Nacht gestohlen und heute Nachmittag nicht weit von seinem ursprünglichen Standort entfernt wieder aufgefunden. Hat das nicht Zeit bis morgen?«
»Wem gehört der Wagen?«
Sie seufzte, und ich hörte ihr Bett knarzen. »Wilhelm Blankers, von Beruf Börsenmakler. Er musste zu einer späten Besprechung ins Parkhotel, seinen Wagen hat er gegenüber geparkt. Nach der Besprechung ging man noch auf einen Drink in die Bar, und als er um zwei Uhr gehen wollte, bemerkte er, dass die Schlüssel aus seinem Jackett an der Garderobe verschwunden waren. Der Mercedes war futsch, und er hat die Polizei gerufen. Eine Fußstreife hat den Wagen gestern Nachmittag in einer nahe gelegenen Seitenstraße entdeckt, keine Beschädigungen, der Schlüssel steckte, rund vierzig Kilometer mehr auf dem Tacho …«
»Woher weiß er das?«
»Er führt ein Fahrtenbuch mit den entsprechenden Kilometerständen, für die Steuer. Blankers kannst du vergessen, er ist nicht der Provinzler von dieser Patty.«
Profis benutzen bei einem Auftrag nie ihr eigenes Auto. Sie stehlen eins. Das Parkhotel war schick, die Methode bewährt: Man hält Ausschau nach Leuten, die aus ihren Autos aussteigen und ein Lokal betreten. Die meisten stecken ihre Autoschlüssel in die Tasche ihrer Jacke und hängen diese dann
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