Tim (German Edition)

einen Rhythmus fand und das Training erschien mir nicht mehr so unmenschlich. Jedenfalls beeindruckte es die Leute in meinem Verein. Sie merkten, wie ernst es mir war und ich konnte jederzeit mit ihrer Hilfe und Hinweisen zu meiner Technik rechnen.
    In dieser Zeit traf Tim‘s Mai-Brief bei mir ein, Nummer 32. Er handelte hauptsächlich von London und von allem, was er gesehen und erlebt hatte. Allein das ermüdete mich. Er hatte es irgendwie geschafft, einen 6-Wochen-Aufenthalt in 2 Wochen zu quetschen. Dem Brief lag ein Zettel bei, den eindeutig Norman geschrieben hatte:
Verreise niemals mit meinem Sohn! Das Wort Entspannung ist ihm nicht ein einziges Mal in den Sinn gekommen. Ich glaube, zum Schluss war er froh, als er zuhause zu seinem RUHIGEREN Leben zurückkehren konnte. Wir wussten, worauf wir uns einließen und wir haben nicht versucht, ihn zu bremsen. Wir haben uns gedacht, dass wir ihn einfach alleine los schicken, wenn es zu verrückt für uns wird. Ich weiß zwar nicht wie, aber wir haben es geschafft, mitzuhalten. Charlie, ich hoffe du bist bereit für ein Leben auf der Überholspur.
    Was sollte man sonst von Tim erwarten? Ich hatte allerdings nicht daran gedacht, dass sein Tempo auch beim Sightseeing so atemberaubend sein würde. Ich realisierte, wie recht Carl damit hatte, dass ein Leben mit Tim wie eine Achterbahnfahrt sein würde, die nie langsamer wird. Meine Antwort beschäftigte sich hauptsächlich mit meinen Abenteuern beim Bogenschießen. Meinen Mangel an Optimismus konnte ich ihm aber nicht vorenthalten. Mir fehlte einfach das angeborene Talent und das Können.
    Tim‘s Brief im Juni hielt mich über seine sportlichen Erfolge auf dem Laufenden. Wie außergewöhnlich seine Leistungen wirklich waren, erfuhr ich aber durch E-Mails von Norman, Betsy und Carl. Tim blieb weiter bei seiner Bescheidenheit, erwähnte die Turniere, an denen er teilnahm und wie er bei den Wettbewerben abgeschnitten hatte. Wie groß sein Vorsprung vor allem auf dem Sprungturm war, erfuhr ich von den anderen. In einem Nebensatz ging er auf meine Zweifel an meinem Talent ein:
Hör auf mit diesem Mist, du hättest nicht das Talent dazu. Du kannst so gut werden, wie du es dir vornimmst. Alles andere ist Bullshit. Und vergiss das niemals. Ich sehe uns beide gemeinsam bei der Eröffnungsfeier in Peking! Ich habe davon geträumt, Charlie. Und dieser Traum war wunderbar. Ich möchte, dass er Realität wird. Gemeinsam können wir es schaffen!
    Im nächsten Teil des Briefes ging er auf seine Pläne für den Sommer ein. Ich konnte kaum glauben, was ich las. Ich musste es mehrfach lesen:
Charlie, das wird mein letzter Sommer ohne dich sein. Ich habe die National Championships beim Turmspringen und sonst nichts weiter. Also habe ich darüber nachgedacht, was ich machen möchte. Ich dachte an das Outward-Bound-Programm. Die fahren mit dir in die Wildnis und bringen dir dort bei, wie man überleben kann. Aber ihre Angebote sind alle zu kurz. Ich dachte daran, so etwas selbst in der Wildnis in Minnesota zu machen. Aber ich wüsste nicht, was das bringen sollte. Ich dachte daran, den Appalachian Trail zu wandern, aber dazu fehlt mir die Zeit und ich könnte dabei nicht für die Nationals trainieren. Also habe ich mich zu folgendem entschlossen. Halt dich gut an deinem Stuhl fest, denn meine Eltern sind von ihren Stühlen gefallen. Also, jetzt kommt es...
Ich laufe von zuhause weg und schieße mich einem Zirkus an!
Wirklich! Naja, ich laufe nicht wirklich weg. Aber der Rest ist wahr. Ich werde das auch nur diesen einen Sommer machen. Aber ich schließe mich dem ›Sutvan‘s Circus‹ an, die von Juni bis September im Mittelwesten unterwegs sind. Sie nehmen mich zu meinen eigenen Bedingungen auf. Ich komme ein bisschen später, wegen der Schule. Zwischendurch bin ich für die Nationals dann mal weg und ich höre ein bisschen eher auf, zum Labor Day.
Ja, ich weiß, was du denkst. Und ja, ich weiß, dass es verrückt ist. Mom und Dad denken das auch. Tina findet, es ist eine großartige Idee und würde gerne mitkommen. Sie hat aber andere Verpflichtungen.
›Sutvan‘s‹ haben ein Sprungbrett, das sich schnell auf- und abbauen lässt und einen kleinen Pool, in den man springen kann. Auch am Trampolin werde ich arbeiten und ein bisschen Turnen ist auch dabei. Ich bekomme für diesen Sommer 1000 Dollar, was nicht schlecht ist für einen High-School-Schüler. Ich habe auch nachgesehen und der Job gefährdet nicht meinen Amateurstatus, da es als