Tim (German Edition)
»Stecke ich in Schwierigkeiten?«, fragte er und runzelte die Stirn.
»Nein, überhaupt nicht«, beruhigte ich ihn.
Tim atmete hörbar aus. »Dann gerne.« Das Grinsen war zurück.
Wir gingen wieder zum See und setzten uns auf eine Bank. Wir waren weit genug von den anderen weg, damit niemand unser Gespräch belauschen konnte.
»Worüber möchtest du reden?« fragte Tim neugierig. Ich zog den Ausdruck der E-Mail aus der Hosentasche und reichte ihm das Blatt. Tim nahm es und las die Nachricht von seinen Eltern. »Ja, und?«, fragte er.
»Erzähl mir von dem P.S.«, bat ich ihn.
Tim zuckte mit den Schultern und grinste. »Es ist wahr, oder?«
Ich seufzte und überlegte, ob ich auf diese Frage antworten sollte. Eigentlich überlegte ich viel mehr, wie ich sie beantworten sollte. Ihn anlügen kam für mich allerdings nicht in Frage. »Tim, ich weiß es nicht genau.«
»Was heißt, du weißt es nicht? Wie kann man so etwas nicht wissen?«
»Ja, es stimmt, ich stehe auf Männer. Aber eben auch Frauen«, stammelte ich. »Vermutlich bin ich bisexuell. Aber ich tendiere mehr zu Männern. Also bin ich vermutlich mehr schwul. Wie gesagt, ich weiß es nicht genau.«
»Wow. Das hast du noch nie jemandem erzählt, oder?« Ich schüttelte den Kopf. »Danke für die ehrliche Antwort. Das war sicher schwer für dich, oder?«
»Unglaublich schwer«, gab ich zu.
»Hättest du dich bei mir ohne dem P.S. in der Mail geoutet?«
»Ich bezweifle es«, antwortete ich.
»Ich liebe dich«, überraschte mich Tim wieder einmal. Ich dachte einen Moment, ich hätte mich verhört. Sein Grinsen sagte mir aber, dass ich ihn richtig verstanden hatte.
»Tim, du überschreitest wieder Grenzen«, sagte ich schließlich, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte.
»Ich weiß. Und du weißt, dass ich das gerne mache.« Er grinste mich herausfordernd an.
»Hör bitte auf damit.« Ich hatte auch Gefühle für ihn, aber das konnte ich ihm schlecht sagen, oder? Ich musste einen Weg finden, dieses Gespräch zu beenden.
Tim ignorierte meine Bitte jedoch und stellte stattdessen eine andere Frage. »Wissen denn deine Eltern Bescheid?«
»Nein. Ich hatte nie einen Grund, mich bei ihnen zu outen. Ich denke zwar nicht, dass sie wütend wären oder mich verstoßen würden. Aber ich bezweifle, dass sie es verstehen würden.«
»Wie hältst du das aus, mit niemandem reden zu können? Ich habe immerhin Carl und meine Eltern.«
»Es ist nicht einfach«, antwortete ich und seufzte. Eigentlich war ich derjenige, der Tim helfen sollte. Momentan sah es aber eher danach aus, als würde er mir helfen. »Ich dachte ich warte damit lieber, bis es einen wirklichen Grund dafür gibt. Bis es jemanden gibt, in den ich mich verlieben könnte.«
»In mich?« Tim‘s Grinsen wurde breiter.
»Tim, Grenzen«, sagte ich nur. Ja, in dich , dachte ich allerdings. Aber das konnte ich nicht sagen. Oder hatte ich mich bereits in ihn verliebt?
»Lass sie mich einfach mal ein bisschen ausreizen. Könntest du dich in mich verlieben?«
»Das ist eine Grenze, die ich definitiv nicht überschreiten kann und eine, die du nicht überschreiten solltest.«
»Beantworte mir doch einfach die Frage.«
»Tim!«
»Okay. Können wir uns morgen weiter darüber unterhalten?«
»Ich halte das für keine gute Idee. Diese Unterhaltung geht schon viel zu weit.« Ich wollte es beenden, bevor ich ihm wirklich gestand, was ich fühlte. Ich durfte das nicht zulassen.
»Dann sag ich meinem Dad, dass du nicht mit mir reden willst«, verkündete er schmollend. Es war keine Drohung, sondern der Versuch eines Scherzes.
»Ich weiß, dass du versuchst lustig zu sein. Aber ich finde das nicht witzig«, sagte ich.
»Morgen?«
Ich seufzte. »Gut, okay.« Noch bevor ich diese zwei Worte ausgesprochen hatte, war ich mir sicher, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Wie nach unserem letzten Gespräch umarmte mich Tim und ich hielt ihn einen Moment lang fest. Es fühlte sich so gut an. So richtig . Aber ich durfte das nicht zulassen. Oder doch? Wir gingen zurück zu unserer Hütte. Wir schwiegen beide. Ich war jedenfalls tief in Gedanken versunken und suchte nach Antworten. Aber woher sollte ich die bekommen? Ich sah Tim einen Augenblick an und war mir sicher, dass ihm ebenso viel durch den Kopf ging.
Kapitel 8: Tim
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Es gibt Tage, an denen könnte ich meinen Bruder einfach erwürgen. Vor dem Abendessen machte meine Spielerei auf dem Trampolin die Runde. Carl konnte natürlich wieder mal
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