Tim (German Edition)
bei ihm gesehen. Schau ihn dir doch an.«
»Bemerkenswert. Okay, ich habe nichts gesagt.«
Vor unserem Kanu-Trip, zu dem sich für mich überraschend auch Hal meldete, entschied ich mich, seine Eltern auf den neuen Hal vorzubereiten. Da ich keine E-Mail-Adresse hatte, schrieb ich ihnen einen Brief.
Liebe Hazel, lieber John,
ich weiß nicht so recht, wie ich euch den Grund meines Briefes erklären soll, ohne euch zu erschrecken. Erinnert ihr euch an den traurigen und tollpatschigen Jungen, den ihr letztes Wochenende hier im Camp abgesetzt habt? Sorry, aber den gibt es nicht mehr.
Drei Jungs aus seiner Gruppe, Tom, Franklin und Tim haben Hal zu ihrem ›Projekt‹ gemacht. Das klingt vielleicht etwas abwertend, ist aber auf keinem Fall so gemeint. Sie haben gemerkt, dass er nicht glücklich ist und sie haben sich vorgenommen, das zu ändern. Und genau das ist passiert.
Euer Sohn ist in den wenigen Tagen ein richtiger Läufer geworden. Er läuft jeden Tag mehrere Meilen, schwimmt viel, macht Saltos auf dem Trampolin und findet sich mittlerweile auch auf dem Baseball-Platz zurecht.
Auch an seinem Äußeren hat das Trio einiges geändert. Hal trägt Shorts und T-Shirt, wie die anderen Jungs. Zudem hat er mittlerweile schon eine gesunde Bräune. Seine alte Kleidung will er eigentlich gar nicht mehr mit nach Hause nehmen. Das müsst ihr dann mit ihm diskutieren. Außerdem hat er einen neuen Haarschnitt bekommen. Hal macht sich ein bisschen Sorgen, was ihr dazu sagen werdet, wenn ihr ihn abholt.
Ich freue mich darauf, euch nächste Woche zu sehen und bin sehr auf eure Reaktion gespannt. Ich hoffe ihr freut euch genauso über den neuen Hal wie Hal selbst und auch alle anderen hier im Camp White Elk.
Liebe Grüße,
Charlie
Mit gemischten Gefühlen gab ich den Brief im Büro ab, von wo aus die Post verschickt wird. Anschließend machte ich mich auf dem Weg zum See, wo bereits ein paar Jungs warteten.
Es hatten sich schon ein paar Teams zusammen gefunden und auf die ersten Kanus verteilt. Tim bestand darauf, einen der Zweisitzer mit mir zu teilen. Franklin, der scheinbar eine andere Idee hatte, wurde von Tim mit einem bösen Blick zum Schweigen gebracht. Franklin schloss sich schließlich mit Hal zusammen, der mir trotz seiner neuen Persönlichkeit ein bisschen Sorgen bereitete. Sollte er wirklich fünf oder sechs Stunden lang durchhalten? Tim nahm in unserem Kanu sofort den vorderen Sitz in Beschlag. Er schien aufgeregt zu sein und ich fragte mich, ob es an dem bevorstehenden Trip selbst lag, oder an der Aussicht, einen ganzen Tag allein mit mir in einem Boot zu verbringen.
»Das Heck gehört dir«, sagte ich und schickte ihn auf den hinteren Platz.
»Ich dachte, dass du da sitzen möchtest«, antwortete Tim, setzte sich aber um.
»Nein, das ist dein Job«, sagte ich und setzte mich auf meinen Platz.
Kurz danach ging es los. Tim und ich übernahmen schnell die Führung und ein paar Minuten lang paddelten wir wortlos vor uns hin. Es war ein angenehmer Morgen, die Sonne schien, aber es war noch nicht zu heiß.
»Warum wolltest du, dass ich im Heck sitze?«, fragte Tim.
»Dafür gibt es mehrere Gründe. Unter anderem ist das in meinen Augen der anspruchsvollere Job. Da du fürs Steuern verantwortlich bist, lernst du dort mehr. Deine Eltern bezahlen schließlich auch dafür, dass du hier etwas lernst.«
»Da ist noch mehr, oder?«, hakte er weiter nach.
»Ja, klar. Zweitens bin ich stärker als du. Ganz einfach aus dem Grund, weil ich auch größer bin. Sicherlich bin ich nicht so fit wie du und habe auch einige Kilo mehr als mir gut tun würden, aber ich habe eben auch mehr Gewicht, die ich ins Paddeln legen kann. Da du im Heck die Hälfte der Zeit mit Steuern verbringst, ist der stärkere von uns hier vorne besser aufgehoben.«
»Und?« Tim ließ nicht locker. Ich drehte mich um und vergewisserte mich, dass die anderen nicht in Hörweite waren.
»Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob ich den Tag überleben könnte, wenn ich mir deinen halbnackten Körper und deinen süßen Hintern in der engen Badehose die ganze Zeit anschauen müsste.« Dieses Mal war ich es, der hier Grenzen ausreizte, das war mir bewusst. Aber zum einen hatte ich es nun schon gesagt und konnte es nicht mehr zurück nehmen. Zum anderen wollte ich ehrlich zu Tim sein.
»Und du glaubst, dass es für mich einfacher ist, dich die ganze Zeit anzusehen?« Tim setzte ein breites, herausforderndes Grinsen auf.
»Zumindest habe ich nicht deine Bräune
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