Tim (German Edition)
im Park neben ihn und legte meinen Kopf in seinen Schoß. Er strich mir sanft durchs Haar und wir schauten uns oft tief in die Augen. Wenn jemand daran gezweifelt hätte, dass wir uns lieben, hätte man uns nur an diesem Nachmittag zusehen müssen. Gott, ich liebte Charlie über alles.
Den Nachmittag verbrachten wir damit, über mich und mein Leben zu reden. Charlie war auch sehr neugierig, wollte ebenfalls alles detailliert hören und stellte immer wieder Fragen. Wir redeten so lange, bis es an der Zeit war, nach Hause zu fahren.
Kapitel 21: Charlie
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Tim‘s Interesse an meinem Leben war grenzenlos. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so viel am Stück über mich selbst gesprochen zu haben. Vielleicht lag es auch daran, dass sich noch nie jemand so sehr für mich interessiert hatte? Mir fielen viele Dinge wieder ein, die ich eigentlich schon völlig vergessen hatte. Ich sprach drei Stunden am Stück, unterbrochen von Tim‘s Nachfragen und kurzen Pausen, in denen wir einfach nur die Stimmung am See genossen. Ab und zu küssten wir uns, wenn wir uns sicher waren, dass niemand in Sichtweite war.
Nach dem Essen war Tim an der Reihe, von seinem Leben zu erzählen. Es war ihm anfangs sichtlich unangenehm. Ich fragte mich, ob es daran lag, dass er die Erwähnung seiner Erfolge im Sport für Angeberei hielt, oder ob er einfach nicht begriff, wie bemerkenswert sein Leben wirklich war. Erst später, als ich ihn besser kennen lernte, stellte ich fest, dass es ein bisschen von beidem war. Mit fünf Jahren begann er mit dem Turnen in einem kleinen Verein. Das Turmspringen begann er nur zwei Jahre später, was natürlich zu Problemen führte. Beide Trainer waren der Meinung, dass Tim nicht genug Zeit für beide Sportarten hatte. Natürlich sollte er sich auf den Sport konzentrieren, den der jeweilige Trainer unterrichtete. Tim lehnte es aber ab, sich für eine Sportart zu entscheiden. Als er neun war, bemerkten seine Trainer, wie außergewöhnlich gut Tim war und sie gaben auf, ihn dazu zu drängen, zwischen seinen beiden Leidenschaften zu wählen. Entweder würden sie sich nach Tim richten, oder ihn verlieren. Dazu war keiner der beiden Trainer bereit. Irgendwie schaffte er es, beide Sportarten unter einen Hut zu bekommen und trotzdem ausgezeichnete Noten nach Hause zu bringen. Tim war sich auch dessen sehr bewusst, dass seine Mutter sich förmlich zerreißen musste, um ihn von einem zum anderen Training zu fahren. Er hatte deshalb ein schlechtes Gewissen und versuchte, ihr als Gegenleistung so viel wie möglich im Haushalt zu helfen.
Tim und Carl waren schon immer gute Freunde und es gab so gut wie nie Schwierigkeiten. Tim konnte sich nur daran erinnern, dass er ein einziges Mal für etwas bestraft wurde, das er Carl angetan hatte. Was er angestellt hatte, wusste er nicht mehr, aber die Strafe — eine Woche Hausarrest — war ihm im Gedächtnis geblieben. Die üblichen Feindseligkeiten, die man überall zwischen Geschwistern findet, gab es in ihrer Familie einfach nicht. Die Geschichten, die Freunde und Mitschüler über ihre schrecklichen Geschwister erzählten, konnten Carl und Tim einfach nicht nachvollziehen. Dadurch bemerkten sie recht schnell, wie außergewöhnlich ihre Familie war.
Auch über das Thema Sexualität sprachen wir. Ich trat mit meiner Frage, wie seine Eltern das mit den Blümchen und Bienchen erklärt hätten, in ein Fettnäpfchen und bekam von Tim sofort eine Lektion in Sachen Offenheit.
»Zuerst einmal«, begann Tim, »verwenden wir keine Euphemismen. Es war immer offen und ehrlich und es gab keine falsche Bescheidenheit. Wenn man ein Modell brauchte, wurde einer von uns zu einem. Das war für Mom vermutlich der stressigste Teil, weil sie die einzige Frau war und Jungs darüber vermutlich die meisten Fragen haben.«
»Habt ihr auch über Selbstbefriedigung gesprochen?« fragte ich nach.
»Natürlich. Als ich in der siebten Klasse war, fragte Mom eines Abends, ob ich wüsste, was feuchte Träume sind. Ich bejahte. Dann fragte sie, ob ich wüsste, dass ich welche habe. Ich fragte, wie sie darauf kam. ›Die Sauerei in deinem Bettzeug‹ , antwortete sie einfach. Dann mischte sich Dad ein und fragte, ob ich über Selbstbefriedigung Bescheid weiß. Ich gab zu, dass ich es nicht wirklich wusste. Dad benannte Carl zu meinem Lehrer und schickte uns in mein Zimmer. Nach diesem Abend wusste ich, worum es ging und wie es gemacht wird.«
»In unserer Familie hätten wir nicht so offen darüber
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