Tim (German Edition)
ergänzte den Brief mit allgemeinen Geschichten aus dem Camp und legte noch ein paar Fotos von mir und der Gang bei. Dann schickte ich Brief Nummer 10 ab. Wir hatten noch einen langen Weg vor uns, aber ein Viertel der Zeit hatten wir hinter uns gebracht.
Jim und Andy wurden nach 4 Wochen aus dem Camp abgeholt, während Hal an diesem Wochenende anreiste. Franklin blieb noch zwei weitere Wochen, gemeinsam mit Hal. Alle vier hatten ein bisschen Zeit zusammen und verschwanden recht schnell. Ich hatte leider viel zu tun und konnte mich ihnen nicht anschließen. Nachdem Andy und Jim abgereist waren, kam Hal zu mir und umarmte mich. »Los, Charlie, vertrau mir«, sagte er und grinste. Ich wusste sofort, worüber sie gesprochen hatten.
Hal verbrachte seine zwei Wochen damit, zu laufen und zu schwimmen. Er stand morgens auf und lief einige Meilen. Den Vormittag verbrachte er meistens im Wasser und den Nachmittag über war er im Wald anzutreffen. Am Morgen liefen ab und zu andere Jungs mit ihm, am Nachmittag war er aber meistens alleine unterwegs. Die Tatsache, dass Hal so oft alleine im Wald lief, machte Stanley nervös. Er hatte das Problem aber bereits im Frühling mit Hal‘s Eltern besprochen. Mit Hilfe ihres Anwaltes entbanden sie das Camp in dieser Zeit von ihrer Verantwortung für Hal. Stanley stimmte widerwillig zu, bestand aber darauf, dass Hal seinen Betreuer immer darüber informierte, wo er zu finden war und dass er die Wege nicht verlassen durfte.
Ich machte mir Sorgen und befürchtete, dass Hal sich zu einer anderen Art Einzelgänger entwickeln könnte. Ich sprach ihn darauf an, aber er gab mir zu verstehen, dass ich mir keine Sorgen machen müsse. Vermutlich hatte er recht. Seine Schüchternheit war weg, er unterhielt sich auch mit den anderen Campern und verstand sich bestens mit ihnen. Einige schwammen mit ihm, ein paar begannen auch mit ihm zusammen zu laufen — zumindest eine kurze Strecke. Niemand konnte mit Hal mithalten. Auch Franklin, der oft mit ihm lief, hatte nicht Hal‘s Ausdauer. Am Abend fügte sich Hal problemlos in die Gruppe ein und machte bei allem mit, was auf dem Programm stand. Meine Sorgen waren wirklich völlig unbegründet.
Franklin‘s Selbstlosigkeit machte mir auch ein bisschen Sorgen. Er machte bei allem mit, worauf die anderen Lust hatten. Er selbst schlug aber nie selbst etwas vor. Als wir eines Abends alleine zusammen saßen, fragte ich ihn, ob er keine eigenen Ziele hat.
»Ich möchte einfach nur glücklich sein«, erklärte Franklin mit einem Lächeln. »Und ich möchte, dass die Menschen um mich herum glücklich sind. Das ist doch ein gutes Ziel, oder?«
Ich stimmte ihm zu und ließ das Thema fallen. Ich war von diesem jungen Mann wirklich fasziniert und ich bewunderte ihn. Zum Thema Ziele hatte ich auch ein interessantes Gespräch mit Hal. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, Marathons laufen zu wollen. Sein erstes Ziel war der Boston Marathon. Er wollte ihn nicht nur mitlaufen, sondern gewinnen. Danach wollte er bei den Olympischen Spielen laufen und eine Medaille mit nach Hause nehmen. Ich konnte kaum glauben, dass es sich bei ihm um den gleichen Jungen handelte, der im vergangenen Jahr nie lächelte und überhaupt kein Selbstvertrauen hatte.
Zur gleichen Zeit erhielt ich Tim‘s August-Brief, Nummer 11. Er hatte wieder einmal eine Überraschung für mich parat, mit der ich nicht gerechnet hatte. Er sprach vom neuen Tim . Er schieb:
Wenn es einen neuen Hal und einen neuen Charlie geben kann, warum nicht auch einen neuen Tim?
In meinen Augen gab es nichts, was er an sich verbessern könnte. Für mich war Tim die Verkörperung der Perfektion. Aber er sah das anders. Er fand, dass er sich selbst zu niedrige Ziele gesetzt hatte und beschloss, das zu ändern. Tim stellte fest, dass er sich nicht zwischen seinen beiden Leidenschaften entscheiden konnte. Deshalb wollte er auch im Herbst beide Sportarten parallel ausüben. Seine Eltern hielten ihn für verrückt. Beide Trainer waren der gleichen Meinung und versuchten Tim dazu zu drängen, eine der beiden Sportarten aufzugeben. Natürlich jeweils die Sportart, die sie selbst nicht unterrichteten.
Er sprach nicht davon, es versuchen zu wollen. Er schrieb, dass er beides so lange machen würde, bis er irgendwann dazu gezwungen wäre, entweder das eine oder das andere aufzugeben. Und seine schulischen Leistungen wollte er dafür natürlich nicht vernachlässigen. Der Junge hatte den Verstand verloren! Als ich das dachte, las
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