Tim (German Edition)
Sprünge über den Horizont meines Trainers hinaus gingen und ich mir alles selbst beibringen musste. Er unterstützte mich dabei aber so gut wie er konnte. Hier und da kritisierte er die Sprünge und machte Vorschläge, was ich technisch noch verbessern könnte. Es ging langsam, aber ich kam voran.
Zum Üben griff ich gerne auf das Trampolin zurück. Einige Lehrer sahen mir dabei zu und baten mich, für ein paar Wochen in den anderen Klassen etwas vorzuführen. Irgendwie war das schon peinlich, aber auf der anderen Seite genoss ich die Aufmerksamkeit. Das beste daran war, dass ein Sportgeschäft dadurch auf mich aufmerksam wurde und mir einen Job anbot. Für eine 15-Minuten-Vorstellung bei einer Veranstaltung bekam ich 100 Dollar. Und das Trampolin durfte ich mit nach Hause nehmen.
In Charlie‘s nächstem Brief überlegte er, was er im kommenden Jahr machen sollte, nachdem er das Studium abgeschlossen hatte. Graduate School kam für ihn nicht in Frage, da er sich nicht vorstellen konnte, in den Twin Cities zu leben und mich nicht sehen zu können. Mittendrin die Schule wechseln, um mit mir zusammen zu sein, fand er auch nicht richtig. Denn nach dem 26. Januar 2005, also meinem 18. Geburtstag, würde ihn nichts aus Minneapolis fernhalten. Als ich diese Zeilen las, weinte ich vor Glück. Er entschied sich für einen Job bei einer gemeinnützigen Organisation. Er bewarb sich beim Roten Kreuz um ein bezahltes Praktikum. Damit würde er nicht reich werden, könnte aber in vielerlei Hinsicht Erfahrungen sammeln. Ich war stolz auf meinen Charlie. Auch dass er jetzt schon über unsere gemeinsame Zeit nachdachte entging mir nicht.
Er bekam drei Einladungen für ein Vorstellungsgespräch. Eines davon war ihm allerdings zu weit weg. Die anderen beiden waren in Des Moines und St. Louis und für Anfang Mai geplant. Darüber hinaus hielt er mich über seine Beziehung mit Alex auf dem Laufenden. Ich freute mich wahnsinnig für Charlie. Ich machte mir keine Sorgen, dass sich mehr daraus entwickeln könnte. Die Gedanken aus seinem Brief zeigten mir, dass das nicht nötig war. Nummer 19 von 40. Fast die Hälfte geschafft!
Kapitel 45: Charlie
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Es war kurz nach 23:00 Uhr und ich stand mitten in Madison. Sollte ich nach Hause fahren? Ich dachte an Ronnie und fragte mich, ob dort ein Bett für die Nacht frei war. Aber ob ich so spät wirklich noch anrufen konnte? Ich entschied mich, die besondere Beziehung der Gang auf die Probe zu stellen. Ich zog mein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer. Ronnie‘s Vater nahm das Gespräch entgegen. Zögernd sagte ich, wer ich war, entschuldigte mich für den späten Anruf und gestand, dass ich in Madison gestrandet war und keine Lust mehr hatte nach Rockford zurück zu fahren. In Anbetracht der Uhrzeit überraschte mich seine Reaktion.
»Hallo, Charlie. Es ist schön, von dir zu hören. So spät ist es doch noch gar nicht. Komm vorbei. Ronnie wird sich freuen. Auch er ist noch nicht im Bett.«
Wow. So kam es, dass ich keine zehn Minuten später bei ihnen vor der Tür stand. Meine Entschuldigungen wurden einfach ignoriert und alle schienen sich darüber zu freuen, mich zu sehen. Das tat meinem Ego gut, besonders nach dem Desaster des Abends. Die Frage, was ich mich zu dieser Zeit nach Madison führte, ließ natürlich nicht lange auf sich warten. Auf der kurzen Fahrt zum Haus hatte ich entschieden, dass ich die Wahrheit sagen würde.
»Ich hatte einen Freund hier an der Uni. Heute Abend wollte er weiter gehen, als ich bereit war und ein Nein wollte er nicht als Antwort akzeptieren. Also bin ich gegangen, bevor es unschön werden konnte.«
»Danke für deine Offenheit«, sagte Adele. »Ich bin überrascht, dass du so ehrlich zu uns bist.«
»Ehrlichkeit habe ich im Camp schon gepredigt. Ich wäre ein Heuchler, wenn ich mich nicht selbst daran halten würde.« Ronnie‘s Eltern grinsten. »Seid ihr euch sicher, dass ihr mir immer noch ein Bett für die Nacht anbieten wollt? Nachdem ihr jetzt von dem Desaster in meiner schwulen Beziehung erfahren habt?«, fragte ich.
»Wenn du zweifelhafte Absichten gegenüber Ronnie hättest, bräuchtest du nicht auf einen Überraschungsbesuch um 23:00 Uhr warten. Und an deinen Absichten haben wir nie auch nur eine Sekunde gezweifelt«, antwortete Adele.
Wir unterhielten uns noch bis kurz nach Mitternacht und gingen dann ins Bett. Ronnie kam zum reden noch ein bisschen zu mir ins Gästezimmer und auf seine Nachfrage erzählte ich ihm
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