Time-Travel-Triologie 01 - Die Prophetin von Luxor
zurückgekehrt.
Die Heuschrecken waren nach wie vor überall, aber wie von Moshe prophezeit, hatten sie aufgehört zu fressen. Sie waren einfach nur da. Dann erwachte Chloe eines frühen Morgens vor Sonnenaufgang, und als sie nach draußen ging, mußte sie sich die Augen reiben, um sich davon zu überzeugen, daß sie nicht träumte. Der Boden lebte! Wie ein schwarz-goldener Teppich zogen die Heuschrecken weiter, hinweg über die verwüsteten Gärten und den Palast, geradewegs nach Westen.
Plötzlich, als folgten sie dem Fingerzeig einer riesigen Hand, breiteten sie die Flügel aus und erhoben sich in die Luft, alle miteinander, um auf dem Westwind in Richtung Meer zu reiten. Chloe zog den Kopf ein, um jenen auszuweichen, die um sie herum den Abflug probten, und verfolgte mit großen Augen, wie die sternenübersäte Nacht von einer glitzernden Masse verdeckt wurde. Stundenlang stand sie da und beobachtete, wie die Wolke kleiner und kleiner wurde. Nur die alten und kranken Heuschrecken waren übriggeblieben, und selbst die humpelten mühsam nach Westen.
Fast eine Woche lang blieb alles normal, dachte Chloe.
Soweit etwas normal sein konnte, wenn man durch die Zeit in die vorchristliche Vergangenheit stürzte, sich dort verliebte, heiratete und einen Hochverrat plante. Ganz zu schweigen von dem Bluttrinken und von dem psychedelischen Trip aus prähistorischem Peyote. Also, wenn das unter »normal« fiel, dann lief im Augenblick alles ziemlich cool.
Die Sklaven waren zurückgekehrt, der Palast war sauber, und alle trafen Vorbereitungen für die Ankunft Hatschepsuts, ewig möge sie leben! In drei Tagen sollte ein riesiges Fest stattfinden, und die Friseure wie auch die antiken Couturiers wurden von der anreisenden Adelsgesellschaft, die ihre Dienerschaft zu Hause gelassen hatte, mit Beschlag belegt.
Cheftu war schon wieder auf den Beinen und trug ein lockeres Leinenhemd. Und er nahm nicht mehr gar so viel von dem Getränk aus der Küche zu sich. Seit sich die Dinge wieder normalisiert hatten, war Chloe nicht mehr in der Küche gewesen. Cheftu hatte eine Menge von Patienten behandelt, von den adligen Damen, die nach den langen Flußreisen krank waren, bis zu den Sklaven mit ihren Brandwunden, die Meneptah unter der Anleitung des Hemu neter versorgte. In fünf Tagen war Cheftu nicht ein einziges Mal vor der fünften Wache heimgekehrt. Der Arztberuf hatte sich in den letzten Jahrtausenden nicht wesentlich verändert, dachte Chloe. Immer noch verbrachten sie fast ihre gesamte Zeit in ihrer Praxis.
So spazierte sie allein durch die von Heuschrecken verwüsteten Gärten, in denen bereits in vergeblicher Anstrengung grüne Gräser sprossen, die allesamt für Hats Ehrenfeier abgepflückt würden. Es war bald Zeit für das Mittagsmahl, dachte Chloe, während sie auf den Palast mit dem flachen Dach zuging.
Plötzlich plumpste wie ein schwerer Amboß die Nacht auf sie herab. Stirnrunzelnd blickte Chloe nach oben. Nur noch mit Mühe war die Sonne hinter der grenzenlosen schwarzen Wolke auszumachen, die jetzt zwischen Himmel und Erde hing. Dann wurde es noch dunkler, und Chloe merkte, daß sie in der Dunkelheit nicht einmal mehr ihr weißes Gewand sehen konnte. Aus dem Palast hörte sie Schreie, mit denen Re angerufen wurde. Je dunkler es wurde, desto schriller wurden die Gebete. Doch Chloe wußte, daß der goldene Gott in Waset so wenig mit dieser plötzlichen Dunkelheit zu tun hatte wie ihre Schwester Camille.
Es war die letzte Plage vor dem Passahopfer.
Fast konnte sie den Tisch der Familie ihres alten Freundes Joseph in Florenz vor sich sehen, die fein gekleideten nahen und fernen Verwandten, die silbernen Teller und fein gearbeiteten Kelche aus blauem venezianischem Glas mit Goldrand, in die jeder einen Finger getaucht hatte, während im Chor die Plagen rezitiert wurden. »Blut, Frösche, Mücken, Fliegen, Vieh, Blattern, Hagel, Heuschrecken, Dunkelheit, Tod des Erstgeborenen Sohns.«
Jeder Tropfen des rubinroten Weines hatte dabei für eine der Strafen gestanden, durch die Gott Ägypten in die Knie gezwungen und die Juden befreit hatte. Chloe blickte zum Himmel auf.
Sie konnte nicht das geringste erkennen. Selbst ihr Orientierungssinn schien verwirrt, so daß sie nur mit größter Mühe zurückfand. Die ängstlichen Schreie als Bojen nehmend, machte sie sich auf den Weg in Richtung Palast. Die weißgekalkten Wände könnten ebensogut mit Pech überzogen sein, dachte sie, soviel nützen sie mir. Die Hände
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