Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
des Dorilton. In der Wagenauffahrt reihten sich Pferdewagen aneinander, und überall wurde die Wintermode der Jahrhundertwende zur Schau getragen – voluminöse Mäntel und Schleier bei den Damen, Paletots mit pelzbesetztem Kragen und Homburghüte bei den Herren. So fasziniert sie von der winterlichen Alt-New-Yorker Szene auch war, wusste Michele doch, dass sie nach Hause ins Windsor Mansion musste. Sie erinnerte sich an Walters Worte: dass Irving um 1900 nicht nur der Anwalt der Familie, sondern auch ein enger Freund gewesen war, und daher wusste sie, dass sie ihre Suche am besten zu Hause begann.
Mit der bloßen Kraft ihres Geists lenkte Michele ihre Gedanken zum Windsor Mansion von 1904. Mit einem Ruck wurde sie vom verschneiten Boden emporgehoben, und ihr Körper drehte sich um sich selbst, bis sie den vertrauten Ort erreichte. Vor dem Eingangstor zog das Walker Mansion ihre Blicke auf sich. Wahrscheinlich war Philip irgendwo dort drin; aber 1904 war er erst zwölf Jahre alt. Als Michele zu dem Haus hinaufblickte, das eines Tages ein modernes Apartmenthaus sein würde, sah sie etwas Gelbes aufblitzen – einen Pferdeschwanz, der ihr sehr bekannt vorkam und gerade an einem der vorderen Fenster vorbeisauste. Die Person eilte aus der Tür und sprang in Jeans und Trenchcoat die Stufen hinunter.
Beinahe konnte Michele das Herz in ihrer Brust hämmern hören, während sie dem blonden Pferdeschwanz folgte, der über die Auffahrt zum Walker Mansion flitzte, bis das Mädchen schließlich unter einer schneebedeckten Straßenlaterne stehen blieb.
»Caissie.«
Ihr Kopf fuhr herum, und als sie Michele erblickte, stahl sich Panik in ihren Blick.
»Wie … wie kommst du hierher?« Caissies Stimme war ein Quieken.
»Du meinst ohne meinen Schlüssel, den du mir gestohlen hast?« Micheles Stimme wurde lauter, entsetzt starrte sie ihre Freundin an. Es war, als würde sich die Geschichte von Irving und Rebecca wiederholen. »Ich habe dir vertraut! Ich habe mich auf dich verlassen! Wie konntest du mir das antun?«
»Es ist nicht … Es ist nicht so, wie du denkst«, stammelte Caissie. »Ich wusste nicht, was ich tat.«
»Oh, natürlich nicht, es passiert ja auch so leicht, dass man ganz aus Versehen eine Halskette stiehlt«, höhnte Michele.
»Das meine ich nicht. Es war … diese Stimme, die ich gehört habe. Als der Strom ausfiel, war ich auf dem Weg zum Klassenzimmer und kam gerade am Gesangszimmer vorbei. Immer wieder rief jemand meinen Namen und sagte, ich solle deinen Schlüssel an mich nehmen, nicht nur zu meinem, sondern auch zu deinem Besten.«
Michele verdrehte die Augen. »Glaubst du im Ernst, dass ich dir das abkaufe?«
»Ich konnte niemanden sehen, aber die Stimme sagte mir immer wieder, du wärest in Gefahr – du dürftest nicht mehr durch die Zeit reisen, weil du ein zweizeitiges Kind wärst. Und wenn ich wollte, dass du überlebst, müsste ich dir den Schlüssel wegnehmen – und ihn hierherbringen.«
Die Worte zweizeitiges Kind ließen Michele erstarren. Davon hatte sie Caissie definitiv nichts erzählt. Aber bevor sie etwas erwidern konnte, sah sie eine unheimliche, dunkelhaarige Frau zielstrebig auf sie zukommen. Sie war in einen Pelz gehüllt und hatte das Kinn in die Luft gereckt.
»Das ist die Frau, die du treffen solltest, um ihr meinen Schlüssel zu geben, nicht wahr?«, flüsterte Michele.
Caissie nickte, und im letzten Augenblick, bevor Rebecca bei ihnen war, ergriff Michele Caissies Hand. »Windsor Mansion, Gegenwart«, flüsterte sie ins Nichts.
Caissie schrie Zeter und Mordio, während sie sich um ihre eigene Achse kreisend in die Luft erhoben, und als sie vor ihrem Apartmenthaus landeten, beugte sie sich vor und übergab sich ins Gebüsch. Sobald sich Caissie wieder aufrichten konnte, nahm Michele ihr den Schlüssel vom Hals und legte sich die Kette selbst um. Erleichtert atmete sie auf. Es gab wieder Hoffnung.
Mit tränenfeuchten Augen sah Caissie zu Michele auf. »Es tut mir wirklich leid. Weißt du, wer diese Frau war?«
»Och, nur jemand, der versucht, mich umzubringen«, sagte Michele knapp.
Caissie schnappte nach Luft. »Ich … Du hast mir nie ge sagt … Ich wusste nicht …« Sie verzog das Gesicht. »Okay, ich gebe zu, dass ich die Vergangenheit sehen wollte. Ich meine, es war einfach nicht fair, dass du diejenige warst, die all diese Abenteuer erleben durfte, und ich das minderwertige Anhängsel war, das nur davon erzählt bekommt! Ich dachte, ich könnte selbst auch eine
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