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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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es sich jedoch zu keiner Zeit anmerken. Eines Tages aber, im Laden hinter dem Palazzo Aquila Nera, begegnete mir Zuccari. Nie hat er mir den Streich in der Rochusbruderschaft verziehen. Wenngleich er sich ausgiebig gerächt hat. Ich ignorierte ihn und ging an den Ladentisch. Als er mich sah, rief er seine Freunde herbei, die er lauthals gemahnte, den Laden zu verlassen, in dem sich ein allseits bekannter Dieb aufhalte - der jedoch so geschickt war, dass er nie für seine Schuld bestraft wurde. Fünf gut gekleidete junge Männer drehten sich zu uns um. Marietta schaute ihrerseits, nach dem Dieb suchend, zur Tür. Aber da war sonst niemand.
    Ich hätte die Beleidigung über mich ergehen lassen sollen, damit das Kind davon nichts merkte. Doch ich konnte noch nie meine Zunge im Zaum halten.«Bist du noch immer in Venedig, Zuccari?», fragte ich ihn.«Ich dachte, du hättest verstanden, dass es hier für Schafe keine Weide mehr gibt, und du wärst nach Rom zum Grasfressen gegangen.»«Du bist ein wahrer Hurensohn, Tintoretto», gab Zuccari zurück und baute sich vor uns auf.«Warum hängst du dich an diesen Halunken?», fragte er Marietta.«Er ist ein Freibeuter, der keine Gesetze kennt. Das Einzige, was er dir beibringen kann, ist Unehrlichkeit.»Dann verschwand er mit seinen Gefolgsmännern in einer dunklen Gasse.«Warum ist er so böse auf dich?», fragte mich Marietta leise.
    «Die anderen Maler behaupten, ich würde zu schnell arbeiten, unfertige Gemälde abliefern und an den Farben sparen, sodass man
angeblich noch das Leinen durchsehen kann», antwortete ich.«Sie werfen mir vor, ich hätte Freunde und Kollegen hereingelegt. Hätte Aufträge, die schon an andere vergeben waren, geklaut und diese dann ohne Gegenleistung erledigt.»«Ist das wahr?», wollte sie wissen.«Hast du das getan? Hast du Freunde und Kollegen hereingelegt? Hast du die Arbeit eines anderen gestohlen?»
    Marietta war rot vor Scham und hoffte einzig, ich würde Nein sagen. Gern hätte ich ihr geantwortet, dass man für eine gerechte Sache mitunter unehrlich handeln müsse. Dass ich keine andere Wahl gehabt habe. Warum hätte ich Spielregeln einhalten sollen, die mich stets und immer benachteiligten? Nachdem mich dieser unzumutbare Zustand auf die Idee brachte, Ordnung und Hierarchien einfach umzustürzen, gaben mir meine Fähigkeiten den Mut, es in die Tat umzusetzen. Wenn dein Feind mit einer Flotte von hundert Galeeren aufwartet und du in einer zusammengeflickten Nussschale sitzt, ist die Piraterie deine einzige Waffe und wird der Krieg im Untergrund zu deiner Strategie. Ich kämpfte um meinen Platz und meinen Namen. Ich wollte lediglich malen. Und um dies tun zu können, um an die Flächen, Zyklen und Säle heranzukommen, um mich darzustellen, musste ich lügen und betrügen. Nicht nur gegenüber meinen Kollegen. Ich musste Mitglied der Bruderschaften werden und mir Zutritt zu den Schulen verschaffen: Ich musste einer von ihnen werden. Oder zumindest so aussehen . Draußen zu bleiben bedeutete den Untergang. Malerei war noch nie etwas anderes gewesen, zumindest für mich.
    Mariettas feuchte Augen aber brachen mir das Herz. Kein einziges Wort kam über meine Lippen. Ich zahlte die Farben, und wir gingen. Zuccari und seine Freunde standen plaudernd am Fuß der Brücke. Marietta nahm meine Hand und drückte sie fest. So gingen wir an ihnen vorbei - ohne uns umzudrehen.
     
    Im Frühling des darauffolgenden Jahres wurden wir eines Morgens im Rialto vom Hochwasser überrascht. Da für ein Kind selbst
eine Erkältung tödlich ausgehen kann, hob ich Marietta auf meine Schultern. Mühevoll watete und schleppte ich mich voran, als auf einmal der verhasste Giorgio Vasari auf mich zukam, der aufgrund der anstehenden Neuauflage seines Buches durch Venedig zog und Erkundigungen über die aktuellsten Neuigkeiten unserer Künste einholte, und dies huckepack auf seinem Gehilfen. Wie ein orientalischer Prinz auf seinem Kamel trieb er ihn mit energischen Schlägen auf die Schulter vorwärts. Angesichts der geringen Achtung, die wir uns entgegenbrachten, wären wir normalerweise wortlos aneinander vorbeigelaufen, doch der enge Gehweg zwang uns zu einem Gruß. Auf seinem Jungen aufsitzend, stieß er mit dem Schuh an meinen Bart.«Welch ein dummer Fehler von dir, du arroganter Venezianer», sagte er mit verächtlichem Genuss,«statt Schüler lädst du dir Kinder auf. Ein Schüler wird dich stets hoch halten, ein Kind dagegen bleibt auf ewig ein Zwerg, für den du

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