Tintorettos Engel
dich buckeln musst.»«Und du bist ein blöder Hosenscheißer», rief Marietta zurück,«mein Vater ist ein wahrer Titan, der es nicht nötig hat, auf die Schulter eines anderen zu steigen.»Sieh nur, Herr, wie stolz Marietta auf mich war.
Meine Gegner behaupten, ich hätte aus Marietta ein dressiertes Äffchen, ja einen Hofnarren gemacht. Doch das stimmt nicht, sie war meine Partnerin. Zusammen mit mir mischte sie sich unter die Priester, Mönche und Senatoren in Toga, folgte mir aber auch zu den Maurern, Tischlern und Arbeitern. Als sie acht oder neun Jahre alt war, merkten die Leute nicht, dass sie nicht der Junge war, der sie vorgab zu sein. Sie gaben ihr Befehle, ließen sie links liegen, waren unhöflich wie zu einem echten Burschen. Ich hätte sie gern als meinen Erstgeborenen vorgestellt, doch ich wusste, dass der Sohn eines Maestros verwöhnt und verhätschelt wurde und dass Marietta nichts gelernt hätte, wenn sie in den Augen der anderen mein Sohn gewesen wäre. Daher nannte ich sie Gabriele, meinen deutschen Gesellen. Die zimperliche Witwe eines Senators, die
ungestört für mich posieren wollte (mein Ruf - ob künstlerisch oder nicht - bescherte mir häufig Situationen dieser Art, die ich nur schwer, aber notgedrungen ohne Kränkungen bewältigte), beauftragte Marietta eines Tages, ihren Bediensteten zu helfen. Sie waren allesamt schwarze Sklaven aus Afrika. Marietta verbeugte sich und ließ uns allein. Zusammen mit den exotischen Männern, die sich in einer unbekannten Sprache unterhielten, entlud Marietta unermüdlich die am Ufer vertäute, bis oben hin mit Waren beladene Gondel, die soeben erst auf der Insel Candia angeschifft worden waren. Es fehlte nicht viel und sie wäre unter der Last der Kisten zusammengebrochen, aber weder die Mauren erweichten sich, da sich auch niemand für sie erweichen ließ, noch half ihr der Gondoliere; er wollte sich nicht die Livree schmutzig machen.
Auf dem Weg nach Hause fragte sie mich völlig unbedarft, was das Wort Pimmel bedeute. Der Gondoliere des Senators hatte ihr - vielmehr dem Gehilfen Gabriele - angeboten, sich ein paar Silberdenars zu verdienen, wenn er seinen Pimmel in ihr Hinterteil stecken könne. Marietta - besser gesagt der Bursche Gabriele - hatte geantwortet, dass er lieber darauf verzichte. Zumindest müsse er erst einmal seinen Meister um Erlaubnis fragen. Wir lachten über diese Geschichte sehr, und ich versprach ihr, dass ich diesen Gondoliere das nächste Mal ordentlich von unserem treuen Schila durchprügeln lassen würde - dafür müsse sie sich sein Gesicht merken.«Wie du mir, so ich dir, und wenn’s gerade nicht klappt, merk ihn dir fürs nächste Mal.»Dann ermahnte ich sie, nichts davon meiner Frau zu erzählen.«Für wen hältst du mich?», erwiderte sie besonnen,«sie würde Marietta ins Kloster schicken, Gabriele will aber bei dir bleiben.»
Mit der Zeit verwandelte sich jedoch die Lust, mit ihr spazieren zu gehen, in Verdrossenheit und wurde mir schließlich zur Qual. Marietta war klein, hatte kleine Füße, kleine Ohren, kleine Hände und eine sehr helle Haut. Wenn wir unter den Arkaden der Prokuratien entlangeilten, überraschte ich immer häufiger Passanten -
Matrosen, aber auch Anwälte und Edelmänner -, wie sie ungeniert auf ihre rund geformten Pobacken, die sich unter den eng anliegenden Hosen abzeichneten, und die drei Knöpfe ihres Jäckchens starrten, die sie nicht mehr zubekam. Mit der Faust in der Tasche musste ich an mich halten, um nicht gegen all jene die Hand zu erheben, die ihr derart hinterhergafften. Einmal hätte ich dem Fährmann von Anconetta beinah das Barthaar ausgerissen, als ich sah, wie er beim Rudern auf widerliche Weise mit der Zunge über seine Lippen leckte und ihr zuzwinkerte. Schließlich schubste ich ihn ins Wasser, weil ich mich sonst nicht zurückgehalten und ihm die Augen ausgekratzt hätte.«Warum hast du ihm wehgetan?», fragte mich Marietta auf dem Weg nach Hause.«Er wollte dich klauen», antwortete ich vage.«Klauen!», rief sie verblüfft.«Was will er denn mit mir, ich bin doch keine Goldmünze!»
Konnte ich ihr denn erklären, was die Männer von ihr wollten? Was hätte sie getan? In Venedig gab es keine anderen Frauen in Hosen. Abgesehen von den Prostituierten. Sie brauchten die Beinkleider, um sich ungestört in der Stadt zu bewegen, sich unter die Säulengänge zu stellen, entlang der Anlegeplätze und über die Märkte zu schlendern, Fremde anzulocken, die scharenweise über
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