Tintorettos Engel
- für immer. Ich versprach dir, dass ich, wenn du meine Familie - meine gesamte Familie - verschontest, von da an nur noch für dich malen würde. Ich legte dir meine Laufbahn zu Füßen. Konnte ich nun endlich Venedigs erster Maler werden? Seit meiner Kindheit war dies mein größter Wunsch. Alles andere war mir egal. Im venezianischen Sitz des heiligen Rochus - ein beliebiger Mann, den du seiner menschlichen Bestimmung enthoben hast, damit er sich für uns einsetzt -, in genau dieser Bruderschaft mit ihren nackten Wänden, die ich mir seit Jahrzehnten zum Ziel gesetzt hatte und die über mein Schicksal entscheiden sollten, wollte ich ein Denkmal errichten,
das niemand zu entwerfen gewagt hätte. Einen Lohn wollte ich dafür nicht haben. Nur so viel, um damit zu überleben und es zu verwirklichen. Ich hätte ein, zehn, zwanzig Gemälde gemalt, um deine Macht, Wahrheit und Gnade zu verherrlichen. Weder für Geld noch für Ruhm oder aus Liebe zur Malerei wollte ich malen - allesamt Motive eines Mannes, der Künstler werden will. Ich wollte es aus Anerkennung tun. Aus Dankbarkeit dafür, geboren zu sein, geliebt zu haben, geliebt worden zu sein, erschaffen zu haben, in den Genuss von Dingen gekommen zu sein, die Freude bereiten, und jenen, die Leid bringen - kurzum, gelebt zu haben. An jenem Tag schenkte ich dir meinen Beruf, mein Talent, mein Leben. Mehr konnte ich dir nicht darbringen. Ich habe mich an unsere Abmachung gehalten.
Nun liege ich hier, und wieder einmal weiß ich nicht mehr, ob es Tag oder Nacht ist, ob ich schlafe oder wach bin, ich höre die Stimmen meiner Familie und den Arzt, der noch einmal erklärt, dass trotz allem mein Leiden nicht tödlich sei. Gern würde ich gehen, doch ich kann mich nicht dazu entschließen, genauso wie in jenem schrecklichen Herbst vor achtzehn Jahren. Und immer wieder sage ich mir, dass du es warst, der unseren Pakt gebrochen hat. Wenn es einen Vertrag zwischen uns gegeben hat, dann hast du ihn zerrissen. Ich habe die Klauseln geachtet. Sollte es nicht so gewesen sein, dann übersteigt das alles meinen Verstand. Sag mir, wo ich gefehlt habe - sag es mir. Ich habe sie von mir ferngehalten. Ich habe auf die Freude verzichtet, alles für sie zu sein. Auch das Denkmal habe ich errichtet - elf Jahre meines Lebens habe ich dafür gegeben. Deinen Ruhm habe ich gepriesen. Du aber hast sie nicht gerettet. Also bin auch ich wieder frei.
Ich hätte merken müssen, ab wann du dich immer weiter zurückgezogen hast, doch ich kann den Beginn deiner Abwesenheit, den Tag, an dem sich der Schatten langsam über uns ausbreitete, nicht benennen. Meine Frau am Fußende des Bettes wiederholt
unentwegt, dass wir endlich nach Carpenedo fahren sollten. Dass wir nicht mehr länger warten dürften, da Venedig mich umbringe. Carpenedo stellt jedoch nicht mehr wie früher die Stätte unserer Zuflucht dar - sie ist entweiht worden. An diesem Ort hast du mich hintergangen.
Das kleine, bescheidene Haus mitten auf dem Land, das ich gekauft hatte, als die Pest in Venedig ihren Anfang nahm, weiß alles über uns. Es ist Sinnbild für unseren Erfolg und seine Nutzlosigkeit. Vierhundert Dukaten hat es mich damals gekostet. Die ich nicht besaß, sondern mir borgen musste. Wegen des Weizens, der Hülsenfrüchte und der vierzehn Fässer Wein, die es jährlich einbrachte, habe ich es allerdings nicht gemocht. Auch nicht wegen der Gans, der fünfzig Eier, der zwei Hennen, der zwei jungen Hühner und des Schinkens, den uns die Pächter nach Venedig brachten. Sondern einzig und allein wegen des alljährlichen Friedens im Sommer. Für ein paar Wochen im Jahr waren wir einfach nur eine Familie. Weder mein Name noch mein Ruhm oder meine Sorgen haben mich je dort erreicht, nichts davon konnte uns in Carpenedo berühren. Sollte es ein privates Paradies auf Erden geben, wir haben es gehabt.
Nach dem Mittagessen saßen wir wie immer im Schatten einer Pergola um den Tisch. Es war Juli. Die Zikaden machten einen ohrenbetäubenden Lärm. Eine Schar Küken watschelte zwischen unseren Füßen herum. Ich erinnere mich an Musik - jemand zupfte auf der Laute ein Lied. Vielleicht war es Ottavia oder auch Marietta. Der von der Pest gezeichnete Herbst gehörte längst der Vergangenheit an, Ottavia war nun ein junges Mädchen und Marietta eine wirkliche Frau geworden. Die leise Musik vermischte sich mit dem Gesumme der Insekten und unseren Stimmen. Harmonische Tage, in denen wir das waren, was eine Familie sein muss. Der
Weitere Kostenlose Bücher