Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
sollte, also flüchtete sie sich in Schweigen. Sie sah ihm stumm dabei zu, wie er ihren Hund untersuchte. Die langen, bräunlichen Finger erinnerten sie an dürre Holzstückchen, doch die Behutsamkeit, die Marron nicht einmal ein Jaulen entlockte, sprach für sich. Dieser Mann liebte die Geschöpfe Gottes ohne Unterschied, und so wagte sie eine Frage, die ihr ganz spontan in den Sinn kam.
»Ihr als Medicus müsst es doch wissen: Gibt es wirklich einen Unterschied zwischen dem Blut einer Edeldame und dem eines gewöhnlichen Mädchens?«, flüsterte sie mit tonloser Stimme.
Der Mann sah auf und entdeckte neben der Frage auch die unterdrückte Qual in den türkisfarbenen Augensternen. Eine mühsam erworbene Reife, die weit über das Alter dieser zierlichen kleinen Dame hinausging.
Vorsichtig schüttelte er den Kopf. »Vom Standpunkt des Arztes aus gesehen, gibt es keinen Unterschied zwischen den Menschen, mein Kind. Ein jeder fühlt Schmerz, verliert Blut, wenn er verwundet wird, und muss die Krankheiten erleiden, die ihn heimsuchen. Egal, ob er in einer Hütte oder in einer Burg geboren wird.«
»Aber ... Ihr sagt das, als gäbe es trotz allem ein Aber«, wisperte Tiphanie und ahnte nicht, wie drängend sich diese Worte anhörten.
»Der Unterschied ist nicht das Blut, sondern die Macht«, seufzte Tadéus. »Das kleinste Stückchen Macht in den Händen eines Menschen führt dazu, dass er sich über andere erhebt. Wer diese Macht besitzt, wird sie immer nur an seinesgleichen weitergeben wollen. Und je weniger sie geteilt wird, um so stärker bleibt sie erhalten.«
»Also wird sie mit Waffen und Gewalt verteidigt«, fügte Tiphanie hinzu. »Aber was ist mit der Ehre des Blutes, der Ehre eines Namens?«
»Ihr stellt seltsame Fragen für eine hochgeborene Demoiselle!« Der Medicus ließ von Marron ab und legte die ohnehin schon gefurchte Stirn in weitere Falten. »Ich würde meinen, die Ehre eines jeden Menschen ist die seines reinen Herzens. Dennoch werden im Namen der Ehre und des Blutes Schlachten geschlagen und Kriege geführt. Je hochgeborener der Mensch ist, um so empfindlicher scheint seine Ehre zu werden, obwohl die Bibel sagt, dass vor Gott alle Menschen gleich sind. Aber weshalb zerbrecht Ihr Euch Euren hübschen Kopf über derlei Dinge? Der Seigneur de Morvan wird Euch auf Händen tragen, und die Verteidigung Eurer Ehre wird seine Aufgabe sein.«
»Warum sollte er das tun?«, sträubte sich Tiphanie auch gegen diese Behauptung.
»Weil er Euch zugetan ist.«
»Aber nein!«
Tiphanies ungläubiger Aufschrei entlockte dem Medicus ein herzhaftes Lachen. »Ihr solltet Euren Kopf vielleicht weniger mit ehrenvollen Theorien belasten, meine Kleine! Öffnet die Augen und seht, was das wirkliche Leben für Euch bereithält!«
Nicht Jannik de Morvan!, wollte Tiphanie widersprechen, aber sie beließ es beim Schweigen.
18. Kapitel
Jean de Montfort, der nach der Schlacht von Auray die Herrschaft über eine äußerst schwierige Provinz des Königreiches Frankreich übernommen hatte, betrachtete die Herren seines Rates in nachdenklicher Konzentration. In den vergangenen Jahren hatte er sie nach ihren Fähigkeiten auf dem Schlachtfeld beurteilt, nun prüfte er ihre Eigenschaften für ein Leben im Frieden.
Allein, manch einer dieser Eisenfresser kam ihm ungeeignet für diesen paradiesischen Zustand vor. Jannik de Morvan zum Beispiel. Tapfer, loyal, kühn bis zur Selbstaufgabe, aber ein Mann ohne Kompromiss und ohne Gnade. Der Kampf war sein Daseinszweck, würde er überhaupt im Stande sein, ein Leben ohne Krieg zu führen?
»Wir werden nie Frieden haben, wenn es uns nicht gelingt Paskal Cocherel in das Höllenloch zurückzuwerfen, aus dem er zu unserem Verderben gekrochen ist«, sagte der Seigneur in diesem Moment: Das ständige Taktieren des Rates in Sachen St. Cado ging ihm nach den Ereignissen mehr denn je gegen den Strich. »Je eher wir gegen ihn marschieren, um so besser wird es sein.«
»Muss ich ausgerechnet Euch darauf hinweisen, wie bitter der Sieg bei Auray erkauft wurde?«, knirschte der Herzog. »Cocherel verfügt über ein Söldnerheer. Das sind Männer, die das Kämpfen auf allen möglichen Schlachtfeldern gelernt haben und die genau wissen, dass es für sie nur zwei Alternativen geben kann: Den Sieg oder den Tod!«
»Haltet Ihr uns für Feiglinge, die vor derlei Gesindel davonlaufen?«, knurrte Jannik.
»Du lieber Himmel, nun seid nicht so bärbeißig, Jannik!«, erwiderte der Herzog ungeduldig.
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