Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
Erscheinung in grauer Seide und Mechelner Spitze in einen passenden Rahmen. Sie forderte herrisch eine Erklärung, die Tiphanie mit fremder, gepresster Stimme gab.
»Es kann nicht sein. Ihr habt keinerlei Beweise für die Dinge, die Ihr behauptet.« Sie weigerte sich, das Märchen für wahr zu halten, mit dem man sie sofort nach ihrer Rückkehr konfrontiert hatte.
»Und ob ich Beweise habe!« Die alte Dame öffnete ein Silberkästchen, das sie die ganze Zeit auf ihrem Schoß festgehalten hatte, und Tiphanie erkannte die abgegriffenen Holzkugeln ihres Rosenkranzes darin.
»Das gehört mir!«, sagte sie mit einem Anflug von Empörung. »Es ist mein einziger Besitz! Woher habt Ihr den Rosenkranz?«
»Aus deiner Kemenate, und die Tatsache, dass er dir gehört, ist mein Beweis, Liebes!«
Dame Marthe stand auf, legte das Kästchen ab und trat mit dem frommen Utensil auf Tiphanie zu. »Wusstest du, dass diese Perlenschnur sehr alt und sehr kostbar ist?«
»Perlenschnur? Ihr täuscht Euch, diese Holzkugeln hat ein einfacher Mann mit einem groben Messer geschnitzt! Mir sind sie kostbar, aber aus ganz anderen Gründen! Mutter Elissa hat mir erzählt, dass ich diesen Rosenkranz um meinen Hals trug, als man mich vor den Toren des Klosters fand. Seinetwegen hielten es die frommen Schwestern für einen Befehl des Himmels, sich um mich zu kümmern.«
Tiphanie griff danach, aber Marthe de Branzel entzog die Kette ihren Fingern.
»Man sagt, dieser Rosenkranz habe einst dem heiligen Briocus gehört, der einer der ersten christlichen Missionare unseres Landes war«, sagte sie bedeutungsschwer. »Eine fromme Urahnin der Familie Kelén erbte ihn nach dem Tod des Heiligen, und von diesem Tag an wurde er stets in höchsten Ehren gehalten. Man sagt, das Glück der Keléns sei in seinen Perlen eingeschlossen, und als er nach dem Überfall auf die Burg nicht gefunden wurde, nahm man an, dass er entweder verbrannt oder gestohlen worden war.«
Tiphanie weigerte sich, hinter den viel sagenden Worten Zusammenhänge zu suchen. Sie wollte den Rosenkranz zurück, aber nur sie wusste, dass sie aus völlig anderen Gründen nach ihm verlangte. Er trug ihre Freiheit in sich, und sie würde nicht zulassen, dass Dame Marthe ihn zum Zeugen unsinniger Geschichten machte, die ohnehin niemand glauben würde.
»Kind!« Die alte Dame legte eine drängende Hand auf ihren Arm. »Ich habe dich Tristane genannt, weil du meiner armen Freundin Elaine so wunderbar ähnlich siehst, aber dieser Rosenkranz beweist noch viel mehr. Elaine muss deine leibliche Mutter gewesen sein! Irgendeine mildtätige Seele hat dich bei dem Überfall gerettet und in das Kloster gebracht. Damals warst du bereits über vier Jahre alt, und dein Retter nahm sicher an, dass du selbst sagen könntest, wer du bist. Er glaubte, dass man dort dafür sorgt, dass du wieder in die richtige Obhut kommst, wenn die schrecklichen Zeiten vorbei sind.«
Tiphanie runzelte die Stirn. Sie erinnerte sich an eine andere Bemerkung Mutter Elissas. »Ich habe angeblich ein ganzes Jahr lang kein Wort gesagt, als ich nach Sainte Anne kam, nicht einmal meinen Namen. Aus diesem Grund haben sie mich nach dem Dreikönigsfest benannt.«
»Siehst du, wie sich alles zusammenfügt?«, freute sich Dame Marthe. »Deine Ähnlichkeit allein wäre zu wenig, aber dieser Rosenkranz beweist es zweifelsfrei. Du bist Tristane de Kelén, das kleine Mädchen, das ich mit eigenen Händen über das Taufbecken in Kelén gehalten habe. Mein geliebtes Patenkind und – die Erbin von Kelén!«
Es fiel Tiphanie nicht auf, dass die alte Dame die letzten vier Worte mit besonderer Betonung sagte. Sie hatte nur eines erfasst. Dame Marthe hatte ihr in einem Atemzug eine Familie geschenkt und sie sogleich wieder vom Erdboden getilgt.
»Das heißt, meine Mutter und mein Vater sind längst tot?«, flüsterte sie entmutigt.
»Auch deine Großeltern und der Rest der Familie. Niemand hat die Zerstörung der Burg überlebt«, gestand die Edeldame. »Man sagt, es stehen nur noch geschwärzte Mauern in Kelén, und das Lehen ist an die Krone zurückgefallen. Wir werden es von Seiner Gnaden für dich zurückfordern, zusammen mit dem Vermögen der Familie!«
Tiphanie hatte nur die ersten beiden Sätze gehört. Alles blieb beim alten. Ob sie nun Tiphanie oder Tristane hieß, sie war allein. Es gab keine Menschenseele, die zu ihr gehörte.
»Hörst du mir überhaupt zu?«
Tiphanie zuckte zusammen und sah ihre Gönnerin aus tränenfeuchten
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