Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
war noch nie eine Frau wirklich wichtig gewesen. Nicht einmal die schöne Anne-Marie, um die ihn alle anderen jungen Edelmänner so sehr beneidet hatten.
Sollte diese kleine Fee in Bereiche gedrungen sein, die sein kühner Ritter bisher sorgsam gegen jeden Handstreich verteidigt hatte? Er traute es ihr zu. Die Novizinnen von Sainte Anne waren seltsame, ungewöhnliche Mädchen.
Allein das Stichwort »Sainte Anne« brachte seine Gedanken auf einen anderen, nicht minder wichtigen Punkt als das Glück seines Kampfgefährten. »Ich möchte Dame Tristane oder Tiphanie, wie immer sie heißt, persönlich zu der Angelegenheit befragen. Man soll einen Boten zu ihr schicken und sie unverzüglich herbeordern!«
Dame Marthe stand auf und ging hinaus, um die Botschaft persönlich weiterzugeben. Als sie wieder zurückkam, griff Jannik unhöflich nach dem Rosenkranz, den sie immer noch in ihren Händen hielt.
»Gebt mir das, es gehört Tiphanie! Sie legt Wert darauf, weil es ihr einziger Besitz ist!«
Die Edeldame umklammerte die Holzperlenschnur unwillkürlich fester. »Gütige Mutter Gottes, was seid Ihr nur für ein Holzkopf, Jannik! Das ist der Rosenkranz des heiligen Briocus! Ein Stück, mindestens so heilig und wertvoll wie das Kreuz von Ys, von dem alle Welt wieder faselt!«
»Was schert mich der Heilige, wenn ...«
»Passt doch auf!«
Ein Regen aus Holzperlen klapperte auf die polierten Marmorquadrate rund um den Arbeitstisch des Herzogs. Die mürbe Kordel, die sie gehalten hatte, war dem unnachgiebigen Tauziehen zwischen dem Ritter und der alten Dame nicht gewachsen. Wie braune Kiesel kollerten die geschnitzten Kugeln in alle Richtungen davon.
»Oh, Jannik! Ihr könnt die Geduld einer Heiligen zum Kochen bringen!«, fauchte die Edeldame und ging höchstpersönlich in die Knie, um die kostbaren Stücke einzeln wieder einzusammeln.
Jannik begegnete halb schuldbewusst, halb wütend dem amüsierten Blick seines Souveräns, der mit zuckenden Mundwinkeln den Familienstreit verfolgt hatte. Schon um diesem Blick zu entgehen, beugte er selbst das Knie, damit er seiner Tante helfen konnte.
»Was ist das... ?«
Er kam wieder hoch, und auf seiner Handfläche ruhte die große Kugel, die an die Spitze des Rosenkranzes gehörte. Sie trug ein besonders sorgsam geschnitztes Triskell, dessen Linien der Länge nach, wie die Schale einer Kastanie aufgeplatzt waren. Aus dem klaffenden Spalt schimmerte es rötlich blinkend.
Jean de Montfort wusste im Gegensatz zu allen anderen sofort, worum es sich handelte. Er hatte bereits drei der Sterne von Armor gesehen, und den vierten erkannte er auf Anhieb. Behutsam weitete er mit den Fingerspitzen den Spalt, der über ein fein gearbeitetes Miniatur-Scharnier verfügte und nun wie die beiden Hälften eines Eies auseinanderfiel. Zum Vorschein kam ein flammender Rubin von der Größe eines Wachteleies, dessen geschliffene Facetten das Licht in einem Regen aus roten Sternen brachen.
»Der rote Stern von Armor!«, hauchte die Herzogin hingerissen.
»Der rote Stern von Armor!«, bestätigte Jean de Montfort voller Ehrfurcht.
Die Perle, den Jadebrocken und den Saphir hütete er bereits. Nun fehlten lediglich der Diamant und das Kreuz selbst, damit die Macht des Symbols ihre volle Wirkung entfalten konnte.
Jannik de Morvan starrte auf das phänomenale Juwel, von dem er bis vor kurzem geglaubt hatte, dass es gar nicht existierte. Er wusste nicht, ob es größere oder schönere Edelsteine gab, eines stand indes fest, es würde sich schwerlich ein Karfunkel finden lassen, der es an Faszination und Magie mit diesem hier aufnehmen konnte.
Allein, weshalb hatte Tiphanie von diesem Vermögen keinen Gebrauch gemacht, das sich in ihrem Besitz befand? Weshalb hatte sie sich in Auray lieber die Finger wund geschuftet und in Rennes die Almosen seiner Tante angenommen? Sie hatte den Schlüssel zu Freiheit und Unabhängigkeit an ihrem Gürtel getragen und war lieber bei ihm geblieben. Warum?
»Oh, verdammt!«
Der Fluch rutschte ihm heraus, ehe er ihn zurückhalten konnte. Kein Wunder, dass Paskal Cocherel Tiphanies Fährte aufgenommen hatte, hartnäckiger als jeder Jagdhund aus der Meute des Herzogs.
»Ihr habt auch davon gewusst?«, fragte Jean de Montfort unwirsch.
»Nein, aber es erklärt vieles!«
In knappen Worten berichtete er von Tiphanies Entführung und von ihrer Befreiung. Nach kurzem Zögern erwähnte er auch die Verwüstung ihrer Kemenate, die ganz offensichtlich bei der rücksichtslosen
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