Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte
teils durch Überredung, teils mit leichter Gewalt, waren
sie schließlich bereit, voneinander zu scheiden, und ließen sich zum unteren
Deck leiten. Ich denke, daß zu dieser Zeit, als an den Rettungsbooten
gearbeitet wurde und es zur Trennung von Männern und Frauen kam, uns allmählich
die unmittelbare Gefahr klar wurde, aber es machte keinen Unterschied in dem
Verhalten der Menge: sie war wie vorher bereit, Anweisungen zu empfangen und zu
tun, was man von ihnen verlangen würde; genauso, wie sie zuerst an Deck
gekommen waren. Ich meine nicht, daß sie hier vernünftig dachten: sie waren
eine durchschnittliche germanische Menge, mit dem angeborenen Respekt für Recht
und Ordnung und den überlieferten Traditionen von Generationen von Ahnen. Die
Gründe, die sie so handeln ließen, wie sie es taten, waren unpersönliche,
instinktive, vererbte.
Aber wenn es
noch welche gab, die nicht bemerkt hatten, daß das Schiff sich in Gefahr
befand, so wurde jeder Zweifel in diesem Punkt in einer dramatischen Art und
Weise ausgeräumt. Plötzlich erschien ein Licht vom vorderen Deck, ein
ansteigendes Gebrüll, das uns alle vom Anblick der Boote herumfahren ließ, und
eine Rakete stieg aufwärts, dort wo die Sterne zu uns herabblinkten. Hoch flog
sie, immer höher, begleitet von vielen aufschauenden Gesichtern, dann eine
Explosion, die die Stille der Nacht zu zerreißen schien, und eine Wolke von
Sternen sank langsam herab und verlöschte nacheinander. Und mit einem
Aufseufzen entflog dies eine Wort den Lippen der Menge: »RAKETEN!« Jedermann
wußte, was Raketen auf See bedeuten. Und dann eine zweite und eine dritte. Die
dramatische Intensität der Szene läßt sich nicht leugnen. Lösen Sie sich los
von allen kommenden schrecklichen Ereignissen, und stellen Sie sich die Stille
der Nacht vor, das plötzliche Licht auf den Decks, die angefüllt waren mit
Menschen in den unterschiedlichsten Bekleidungen, im Hintergrund hohe
Schornsteine und aufragende Masten, entblößt durch die emporstrebende Rakete,
deren Leuchten gleichzeitig die vielen Gesichter und die Seelen der ergebenen
Masse erleuchtete, die einen mit dem physischen Licht, die anderen mit der
plötzlichen Einsicht der Botschaft, die es verkündete. Jedermann wußte ohne
Erklärung, daß es der Ruf nach Hilfe war.
Die
Besatzungen befanden sich nun in den Booten, die Seeleute standen an den
Falltauen, um sie durch die Blöcke (Führungsscheiben) ruckweise zu lösen, die
Boote folgten hinab bis aufs B-Deck; Frauen und Kinder stiegen über die Reling
in die Boote und füllten den Raum. Wenn sie voll besetzt waren, wurden sie ganz
herabgelassen, beginnend mit Nummer 9, das erste auf dem Deck der zweiten
Klasse, und fortfahrend bis Nummer 15. Alles das konnten wir sehen, wenn wir
über die Kante des Bootsdecks sahen, welches nun offen vor uns lag; die vier Boote,
die eine natürliche Abgrenzung gebildet hatten, waren vom Deck herabgelassen
worden und ließen es leer zurück. Etwa um diese Zeit, während ich an Deck
spazierte, sah ich zwei Frauen, die von der Backbordseite herüberkamen und zur
Pforte gingen, die die zweite Klasse von dem Decksabschnitt der ersten Klasse
trennte. Dort stand ein Offizier, der den Zugang versperrte. »Können wir
vorbeigehen zu den Booten?« fragten sie. »Nein, meine Damen«, antwortete er
freundlich, »Ihre Boote befinden sich unten auf ihrem eigenen Deck«, und wies
auf die Stelle, wo sie hinabgefiert worden waren. Die Frauen kehrten um und
gingen zum Treppenhaus, und ohne Zweifel schafften sie es bis zu den Booten,
sie hatten ja viel Zeit. Ich erwähne diese Begebenheit, um zu zeigen, daß es
wenigstens hier das Übereinkommen gegeben hat – ob offiziell oder nicht –, eine
Trennung der Klassen beim Besteigen der Boote vorzunehmen. Wie weit sie
eingehalten wurde, kann ich nicht sagen, aber wenn schon die Frauen der zweiten
Klasse nicht damit rechnen durften, das Boot auf dem Erste-Klasse-Deck zu
betreten, wie erging es erst den Zwischendeckspassagieren beim Zugang zum
Zweite-Klasse-Deck? Es sieht so aus, als ginge das auch zu Lasten der Männer
der zweiten Klasse, und leider spricht die geringe Rate der Geretteten dafür.
Unmittelbar nach diesem Vorfall machte eine Meldung unter den Männern, die auf
dem Bootsdeck an Steuerbord standen, die Runde: Männer auf der Backbordseite
würden in die Boote gelassen. Ich bin nicht in der Lage zu sagen, wie sie
entstand, ich kann nur vermuten, daß es der Umstand gewesen sein könnte, daß
die
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