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Instrumentes zu verlieren; als ich aber bei dem letzten Vers auf die Knie niedersank, und mit den Augen gen Himmel blickend die letzten Worte des Gedichts an die Göttin der Liebe selbst richtete, da brach der Beifallssturm in einer Weise los, welche aller Schranken spottete. Es war augenscheinlich, daß ich einen bis jetzt noch unbekannten Effekt, etwas ganz Neues, vollständig Unerwartetes erzielt hatte. Die Königin hob mich auf, drückte mich an ihr Herz und küßte mich. »O, noch einmal, noch einmal!« rief sie. »Noch einmal, Emma. Ich bitte dich darum.« Ich schüttelte aber den Kopf.
»Majestät,« sagte ich zu ihr, »ich verdanke meinen Erfolg einer Überraschung. Von dem Augenblick an, wo es keine Überraschung mehr gäbe, würde es auch keinen Erfolg mehr geben. Verlangen Sie daher niemals von mir, daß ich mich wiederhole, wohl aber werde ich, wenn Sie wollen etwas anderes versuchen.«
»Alles, was du willst, aber schnell! schnell! schnell! Wir möchten dir gern wieder Beifall zujubeln. – Haben Sie jemals so etwas gesehen, Gatti? Haben Sie jemals so etwas gehört, Rocca Romana?«
Die Antwort lautete, wie man sich leicht denken kann, einstimmig verneinend. Nun vereinigte sich alle Welt mit der Königin, um noch etwas von mir zu verlangen. Ich war der Wirkung sicher, die ich in der Wahnsinnsszene Ophelias hervorbringen würde. Ich bat die Königin um einen Tüllschleier und Blumen. »Komm mit in mein Zimmer,« sagte sie. »Du wirst unter allen meinen Schleiern den wählen, welcher dir am besten zusagt. Was Blumenbetrifft, so findest du deren soviel, als du willst, auf der Terrasse.« Ich ging mit der Königin in ihr Schlafzimmer. Ich wählte einen einfachen Tüllschleier. Dann gingen wir miteinander auf die Terrasse. Die Königin stellte sich mir zur Verfügung und sagte zu mir:
»Willst du dieses Geranium? Willst du diesen Orangenzweig? Willst du diese Rosenlorbeerblüte?«
Alles dies war eigentlich nicht das, was ich brauchte. Diese Blumen der Zivilisation und der Aristokratie standen mit Ophelias Wahnsinn in Widerspruch; Maßlieben, Veilchen und Rosmarin verlangte der Teil Shakespeares. Die Blumen, welche man mir hier bot, taugten wohl für die Tochter der Kaiserin Maria Theresia, aber nicht für die Tochter des Polonius. Ich begann aber schon nicht mehr schwierig zu sein, sondern Diamanten und Perlen zu nehmen, wenn ich nichts anderes fand. Die Königin wollte bleiben und mir bei meiner Toilette behilflich sein. Ganz besonders aber war eben sie es, auf die ich Eindruck machen wollte, und ich schickte sie daher unerbittlich aus dem Zimmer. Übrigens hatte sich Karoline kaum wieder in den Salon zurückbegeben und in ihrem Lehnsessel Platz genommen, so öffnete sich, dank meiner Geschicklichkeit in dergleichen Umgestaltungen, auch schon die Tür des Schlafzimmers wieder, und ich erschien in dem Rahmen derselben bleich mit stieren Blicken und von Wahnsinn zuckenden Lippen.
Wenn meine Zuhörer, obschon Nachkommen der Athenienser, mit der Poesie der Muse von Lesbos wenig vertraut waren, so waren ihnen die Gesänge des Poeten von Stratford noch weit fremder. Nicht ein einziger von ihnen verstand übrigens soviel Englisch, daß er einer Deklamation shakespearischer Verse zu folgen imstande gewesen wäre. Für sie handelte es sich daher um eine einfache Pantomime. Was hinderte mich aber dies? War die Pantomime nicht gerade das, worin ich am meisten exzellierte? Ich muß selbst sagen, daß ich selbst in meinen vollständigsten Inspirationen noch nie die Höhe erreicht hatte, zu welcher ich mich an diesem Abend aufschwang. Ich war wirklich die naive Valentine Hamlets, die verzweifelte Tochter des Polonius, die wahnsinnige Schwester des Laërtes. Ich hatte niemanden, der mir meiner Rolle gemäß antwortete, aber ich ergänzte jeden Mangel. Die Überzeugung, daß niemand diese Lücken bemerken würde, hielt mich aufrecht oder erhob mich vielleicht noch mehr. Ich war gleichzeitig Dichter und Darstellerin. Da, wo der Vers mangelte, improvisierteich. Shakespeare selbst, ich bin dessen gewiß, wäre mit mir zufrieden gewesen. Ich werde nicht versuchen, das Erstaunen meiner Zuhörer zu schildern. Es war aller Wahrscheinlichkeit nach das erste Mal, daß diesen Organisationen die bleiche Poesie des Nordens erschien, welche mit aufgelöstem Haar ihre Schmerzen beweint. Nur die Königin fand darin Anklänge an die Dichter ihres eigenen Vaterlandes. Als ich abtrat, folgte mir ein mit Schluchzen gemischter
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