Tochter der Insel - Historischer Roman
in Einsamkeit. Auch meine Schwester, die zeit ihres Lebens regententreu war, wandte sich von mir ab. Arne hatte von all dem nichts mitbekommen. Er war, wie schon so oft, auf Schusters Rappen unterwegs. Ihn hat es damals nie lange an einem Ort gehalten. Als er nach Ostfriesland zurückkehrte und erfuhr, dass Johann und ich im Gefängnis saßen, ließ er nichts unversucht, um uns dort herauszuholen. Er fädelte eine Befreiungsaktion ein, die darin mündete, uns auf ein Schiff und weiter nach Amerika zu bringen.
Mir war alles gleichgültig. Ich trauerte immer noch Kristin nach und war wie betäubt von ihrem Verrat. Johann entschied sich dafür, nicht mit in die Neue Welt zu kommen. Er hatte Familie und Freunde, für die er sich verantwortlich fühlte, und hoffte auf eine baldige Entlassung. So flüchteten Arne und ich alleine.
Wie ein Feigling fühlte ich mich, als ich Johann hinter den kalten Mauern zurückließ. Er war mein bester Freund und ich hatte das untrügliche Gefühl, ihn verraten zu haben. Später schrieb ich ihm, doch alle meine Briefe kamen ungeöffnet zurück. Erst durch die Zeitung erfuhr ich, dass mein Freund nach einem einjährigen Prozess und einer langen Gefängnisstrafe in die Freiheit entlassen wurde. Man hat ihn mit Triumph empfangen und wie einen Helden gefeiert, doch er scheint ein gebrochener Mann zu sein und Abstand zu allem zu nehmen, was ihn an das Geschehene erinnert. Das ist eine Schuld, die immer auf mir lasten wird.«
Lea hatte ihm wie gebannt zugehört. »Aber du hast ihn nicht gezwungen, als Redner aufzutreten. Jeder Mensch ist selbst für das verantwortlich, was er tut. Er hätte ablehnen können.«
»Er wollte ablehnen. Ich habe ihn überredet, habe ihm gesagt, dass es Männer wie ihn braucht, damit der neue Geist selbst im letzten Winkel Ostfrieslands spürbar wird. Und ich habe jedes Wort so gemeint. Die Menschen vertrauten ihm. Er war ein durch und durch guter und gerechter Mensch. Und dann hat meine blind machende Liebe ihn verraten.«
»Du hast gesagt, die Menschen hätten ihn gefeiert wie einen Helden. Wenn das stimmt, dann war sein Tun nicht umsonst. Joris, seine Worte haben ihn zwar ins Gefängnis gebracht, aber sie haben auch die Herzen der Menschen erreicht und in ihnen den Wunsch nach Freiheit entfacht.«
»Und was hat es genützt?«, fragte er scharf. »Bis heute hat sich nicht viel verändert in der alten Heimat. Immer noch sind die Auswandererschiffe voller Verzweifelter, die hier nach einer besseren Zukunft suchen.«
»Irgendwann wird sich etwas ändern. Wenn die Menschen alle an einem Strang ziehen und für ihre Rechte kämpfen. Den Anfang habt ihr damals gemacht.« Sie schwieg einen Moment. »Wirst du jemals zurückkehren können?«
»Nein. Aber ich will es auch gar nicht mehr. Jetzt gehöre ich hierher. Vielleicht habe ich immer hierher gehört und meine Inhaftierung war ein Wink des Schicksals. Ich bin glücklich in Amerika. Manchmal überkommt mich ein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken, dass das Land, über das ich schreite, den Indianern gestohlen wurde. Amerika hat zwar eine Verfassung, die ihren Bürgern Freiheit schenkt, doch nicht den Menschen mit roter oder dunkler Haut. Sie könnten ebenso gut als Tiere auf die Welt gekommen sein. Denn viel mehr gelten sie nicht.«
»Mir tun besonders die Sklaven leid. Ich war in New Orleans auf einer Auktion. Es war furchtbar. Diese Menschen sind in einer ausweglosen Lage. Sie sitzen in der Falle.«
»Ich halte die Sklaverei für ein schweres Verbrechen. Obwohl sie hier in Illinois abgeschafft ist, respektieren die Behörden, dass in anderen Staaten Menschen als Besitz gehalten werden. Aufgegriffene Farbige werden inhaftiert, unter grausamen Bedingungen festgehalten und ihren Herren wieder ausgeliefert. Einige machen regelrecht Jagd auf die entlaufenen Sklaven und brüsten sich damit, dass die ausgesetzten Belohnungen ein lukratives Geschäft seien. All das konnte ich nicht ertragen, deshalb … « Joris brach unvermittelt ab und sein Gesicht verschloss sich.
»Deshalb was?«, fragte Lea atemlos.
Er schüttelte nur den Kopf. »Es ist manchmal besser, nicht zu viel zu wissen. Ich will dir nichts aufbürden, Lea.«
»Du kennst meine Einstellung. Ich könnte helfen.«
»Nein!« Sein Ton war entschlossen und Lea erkannte, dass alle Versuche, ihm mehr zu entlocken, sinnlos waren. Sie beschloss daher, das Thema zu wechseln.
»Damals, in Ostfriesland. War dein Vater auch ein Anhänger der Liberalen?«
»Nein.
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