Tochter Der Traumdiebe
mein Land von einem Ungeheuer bedroht wird, das viel gefährlicher ist als Mu Oorias Schlange.«
Sie murmelte, sie könne meine Sorgen verstehen und werde alles tun, was ihr möglich sei. Ich fragte nach Captain Bastable, dem geheimnisvollen Engländer, doch sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, er hat anderswo zu tun.«
»Werden Sie mich dann, da Sie doch offenbar nach Belieben kommen und gehen können, hier herausführen?«
»Es gibt die Traumstraßen«, sagte sie. »Es ist nicht schwer, sie zu finden. Aber manchmal ist es unmöglich, zu dem Ort zurückzukehren, von dem man gekommen ist.« Sie hob eine Hand, um meinen aufgebrachten Einwänden zuvorzukommen. »Ich habe versprochen, dass Sie die Chance bekommen sollen, gegen Ihre Feinde zu kämpfen - und ich denke doch, dass Sie dabei so erfolgreich wir nur irgend möglich sein wollen.«
»Sie sagen mir offenbar, ich solle mich in Geduld üben. Was bleibt mir also übrig?« Ich wusste, dass sie es ehrlich meinte. Ich drückte freundlich ihren Arm. Es kam mir vor, als würde ich sie schon mein ganzes Leben lang kennen. Sie hätte eine meiner angenehmeren Verwandten sein können, eine Nichte vielleicht. Ich erinnerte mich an ihre etwas seltsam anmutende Andeutung, ich müsste sie eigentlich kennen. Allmählich verstand ich, wie es in den eigenwilligen Zeitflüssen des Multiversums möglich war, etwas gleichzeitig als geheimnisvoll und vertraut zu empfinden. Zweifellos hatte sie mich mit jemandem verwechselt, möglicherweise mit einer meiner unzähligen anderen Verkörperungen, die, wenn man ihr und den Off-Moo glauben konnte, in einem sich unendlich weiter verzweigenden Multiversum in stetig wachsender Zahl existierten.
Ihre Bestätigung, dass ich nicht nur einen Doppelgänger, sondern eine unendliche Zahl davon hatte, beruhigte mich keineswegs. Dabei fiel mir ein, dass ich sie nach den beiden bizarren Kämpfern fragen konnte, die ich zuvor gesehen hatte. Einer von ihnen war mein Doppelgänger gewesen.
Sie fand die Frage eher beunruhigend als überraschend und stellte mir präzise Gegenfragen, die ich so gut wie möglich beantwortete. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich wusste nicht, dass solche Kräfte am Werk sind«, sagte sie. »Nicht so gewaltige Kräfte. Ich bete, dass einige davon sich entschließen mögen, sich mit uns zu verbünden. Möglicherweise habe ich die Fähigkeiten meiner Mutter missbraucht oder missverstanden.«
»Wer waren diese Männer in den Rüstungen?«
»Gaynor, wenn er die Rüstung trägt, die Sie beschrieben haben. Der Zweite ist sein Todfeind, einer ihrer größten Avatare, dessen Bestimmung es ist, die Natur des Multiversums selbst zu verändern.«
»Also kein Vorfahr, sondern ein Alter Ego?«
»Wenn Sie so wollen, ja. Sie sagten, er hätte Sie um etwas gebeten?«
»Das habe ich vermutet.«
»Er ist verzweifelt.« Sie sprach liebevoll über ihn, als wäre er ein alter Freund. »Was hat Fromental gesehen?«
»Nichts. Auch ich habe die Erscheinungen nur für einen kurzen Augenblick wahrgenommen, aber es waren keine Sinnestäuschungen. Wenigstens nicht in dem Sinn, wie ich es sonst verstehe.«
»Nein, es waren gewiss keine Sinnestäuschungen«, bestätigte sie. »Kommen Sie, wir müssen uns mit Fromental und seinen Freunden beraten. Sie haben schon lange genug auf uns gewartet.«
Auf schmalen Brücken überquerten wir einige Kanäle, die denen in Venedig sehr ähnlich waren. Die Wasserläufe folgten offenbar natürlichen Rinnen und Spalten, die zusammen die Wasserversorgung der Stadt gewährleisteten. Ich war beeindruckt von der Geschicklichkeit, mit der die Off-Moo sich den natürlichen Gegebenheiten der Erde anzupassen verstanden. Auch Goethe wäre von ihrer Achtung für die Umgebung beeindruckt gewesen. Ironischerweise hätte man aber diese Umgebung, würde man sie in meiner eigenen Welt schildern, für die Phantasien eines opiumsüchtigen Coleridge oder Poe halten können. Die Menschen vermögen doch jede Wahrheit, und sei sie noch so bedeutend, zu verleugnen, sobald sie ihr begrenztes Verständnis der Realität gefährdet.
Nach einer Weile betraten wir einen kleinen Platz. Oona führte mich zu einem Hauseingang und dann ein gewundenes, asymmetrisches Treppenhaus hinauf, bis wir einen großen Raum erreichten, der für eine Wohnung der Off-Moo überraschend weitläufig schien. Das Zimmer war eher nach dem menschlichen Geschmack eingerichtet, es gab große Sofas und bequeme Stühle, auf einem langen Tisch standen Essen und
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