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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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erwartet im Infirmarium. Er hält Nachtwache über die Kranken und schlummert auf einer Matratze im Kräuterlager. Rasch kommt er auf die Beine und stößt dabei gegen den Arbeitstisch.
    Sie beginnt zu reden, ohne darüber nachzudenken, was sie sagt. Als sie schweigt, ist sie ganz außer Atem und kann sehen, dass er kein einziges Wort verstanden hat. Sie lacht, mit einem Pst legt er einen Finger auf die Lippen, aber sie kann nicht aufhören. Das Lachen legt Feuer an das aufgehäufte Schweigen, es explodiert im Zwerchfell, alles in ihr krümmt sich zusammen. Nachher weint sie, und Volmar schenkt dünnes Bier für sie ein. Sie bricht völlig zusammen, als er es endlich schafft, sie zu überreden, sich auf einen Schemel zu setzen. Sie sitzt da und lässt die vorgeschobene Unterlippe hängen wie ein unglückliches Kind. Er geht vor ihr in die Hocke, sie weicht seinem Blick aus.
    »Hildegard«, flüstert er, »bist du gekommen, um mir etwas Wichtiges zu sagen?«
    Sie macht eine zweideutige Bewegung mit dem Kopf, dreht die Handflächen zur Decke, bevor sie die Hände wieder schlaff auf die Knie sinken lässt.
    »Ich weiß nicht länger, was wichtig ist«, flüstert sie.
    Volmar nickt. Er sieht weg. Jemand hat den Deckel des Krugsmit der Zitronenmelisse schief aufgesetzt. Er steht auf, rückt ihn zurecht, dreht den Krug halb um.
    »Ich brauche deine Hilfe, Volmar«, sagt sie in seinem Rücken.
    Mit dem Zeigefinger wischt er Staub von den obersten Krügen. Edelkastanie, Lindenblüte, zerstoßener Hopfen. Er nickt, bleibt noch etwas stehen, um Zeit zu gewinnen. Dann setzt er sich wieder vor sie.
    Jedes Mal, wenn sie ihm von dem fremden Alphabet erzählen will, fordert er sie mit einem Pst auf zu schweigen und bittet sie zu warten. Stattdessen fragt er sie über das quälende Schweigen aus, das sie beschreibt. Er fragt, ob sie an ausgeprägter Schläfrigkeit gelitten habe, an Formen von Muskelschmerzen oder Schwäche, besonders in den Knien. Sie bekennt alles und nickt geistesabwesend. Unzufriedenheit, Langeweile, mangelnde Aufmerksamkeit im Gebet bekennt sie ebenfalls. Volmar fragt einfach und direkt, und sie antwortet achtlos und wie eine Schlafwandlerin. Als er ihren Puls zählen will, reißt sie sich von ihm los und steht auf.
    »Ich bin nicht krank, Volmar«, sagt sie und schlägt mit der Faust auf den Tisch. »Ich bin nicht gekommen, um untersucht oder behandelt zu werden, sondern weil ich will, dass du hörst, was ich gesehen habe.«
    Er stellt sich mit dem Rücken zur Wand. Nickt schweigend.
    »Was fürchtest du, Volmar?«, fragt sie, aber er antwortet nicht. Sie wartet, er räuspert sich, sie sieht ihn weiter an, ohne etwas zu sagen.
    »Ich dachte daran«, setzt er endlich an, »dass du so lange geschwiegen hast. Und nun kommst du hier hereingestürmt zu einer Zeit, zu der alle Menschen schlafen sollten … In den fünfundzwanzig Jahren, in denen ich dein Lehrer gewesenbin … Hildegard, als du das letzte Mal in dieser Seelenlage zu mir kamst, warst du nichts als ein großes und verwirrtes Mädchen, aber jetzt! Ich verstehe nicht, warum es nicht bis morgen warten kann. Ich meine …«
    Hildegard wartet, aber er sagt nichts mehr. Er legt die Arme über Kreuz.
    »Ja?« Hildegard trommelt auf den Tisch. Sie weiß, es nützt nichts, gleich von vorne zu beginnen. Bevor Volmar nicht gesagt hat, was er auf dem Herzen hat, kann sie nicht sicher sein, dass er richtig zuhört.
    »Traurigkeit, die der Welt angehört, Unentschlossenheit, Leiden an der Welt«, sagt er und seufzt, bevor er fortfährt, »das sind einige der garstigsten dämonischen Gedanken, die den Weg zur Versuchung öffnen, Hildegard.«
    Sie zuckt verärgert mit den Schultern. Sie hat überhaupt keine Lust, darüber zu sprechen. »Ich habe geschwiegen, weil keine Worte in mir waren. Obwohl ich mich für gewöhnlich bändigen muss, um zu schweigen, wie es mir auferlegt wurde, habe ich doch über eine lange Zeit nichts in mir getragen, das es zu sagen wert gewesen wäre. Die Schau, die ich heute Abend in der Kirche hatte, jagte einen Pfeil durch die unerträgliche Leere.«
    Volmar setzt sich auf die Matratze und zieht die Beine an. Es ist ein langer Tag gewesen. Die Kranken können ihn alsbald stören und er hatte sich darauf gefreut, zu schlafen. Hildegard sagt nichts, aber er kann ihren Blick spüren. Er hat ihre Gespräche vermisst.
    »Dann erzähl es mir noch einmal, Hildegard«, sagt er leise.
    »Es waren dreiundzwanzig Buchstaben, die niemand anderer zuvor

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