Tod am Laacher See
ein Uhr einunddreißig in Koblenz
ankommen sollte, konnte er schon nicht mehr erreichen. Der darauffolgende Zug
fuhr erst um zwanzig Uhr neunundvierzig und würde fahrplanmäßig um vier Uhr achtundfünfzig
in der Früh ankommen.
Wesendonk fragte ihn nach dem Ergebnis seiner Recherche. Und bot ihm
an, die Zeit bis zur Abfahrt des Zuges bei ihm zu verbringen. Falls er nicht
noch etwas anderes im Ort zu erledigen habe. Wärmland wollte aber Wesendonks
Gastfreundschaft nicht länger strapazieren. Auch weil er inzwischen ein
respektables Hungergefühl entwickelt hatte und sich vorstellte, er könne in der
Nähe noch ein brauchbares Restaurant entdecken, um seinen Hunger angemessen zu
stillen. Er hatte sich gerade entschlossen aufzubrechen, da hörte Wärmland ein
Geräusch. Jemand schloss die Wohnungstür auf, und eine Frau erschien im
Türrahmen zum Wohnraum. »Hallo, Paps, du hast Besuch? Das ist ja nett. Bleibt
der zum Essen?«
Wärmland bemerkte zunächst das wallende mittelblonde Haar und die
hellen graublauen Augen. Eine Seemannstochter mit klaren Seewasseraugen, dachte
er. Donnerwetter, Wesendonk. Da hast du ja was gut hingekriegt. Sie war hübsch.
Beinahe eine Schönheit.
»Ich versuche gerade, den Herrn Hauptkommissar zum Bleiben zu
überreden. Aber er ist störrisch wie ’ne kastrierte Robbe und will los. Obwohl
sein Zug erst in zwei Stunden geht.«
Sie lachte und betrat den Raum.
»Meine Tochter Sandra«, sagte Wesendonk und stellte sie einander
vor. Wärmland spürte ihre kleine warme Hand in seiner, und ihn durchlief ein
kleiner Schauer.
»Na ja, bevor Sie uns Menschen aus dem Süden für notorische Besserwisser
halten: Ein bisschen kann ich ja noch bleiben.«
»Dann essen Sie mit uns«, sagte Sandra, »ich habe genug eingekauft.
Ich mach was mit Geschnetzeltem und Nudeln. Ist das für Sie in Ordnung?«
»Hört sich gut an«, beteuerte Wärmland, der wohl auch bei gedünsteter
Wanderratte wohlwollend zugestimmt hätte. Diese Sandra hatte was. Eigentlich
war es egal, was sie kochte.
Im nächsten Moment war sie auch schon in der Küche verschwunden. Auf
Wesendonks Frage, ob sie vielleicht Hilfe benötige, antwortete sie mit einem
bestimmten Nein. Schließlich müsse sich ja jemand um den Besuch aus dem Süden
kümmern.
Das Essen schmeckte phantastisch. Sie war ganz offensichtlich eine
ausgezeichnete Köchin. Der Meinung war auch Wesendonk, der von seiner Tochter
in ihrem Beisein ein derart perfektes Bild entwarf, dass es ihr schließlich zu
viel wurde und sie ihm Einhalt gebot.
Wärmland erfuhr jedenfalls, dass sie achtunddreißig Jahre alt war
und einen kleinen Sohn hatte, der sich an diesem Abend bei seiner Großmutter
aufhielt, Wesendonks geschiedener Frau. Während des Desserts stellte Wesendonk
die fortgesetzte Reklame für seine alleinstehende Tochter vorübergehend ein,
und alle genossen die selbst gemachte rote Grütze.
Wärmland verspürte eine wohlige Schwere, der ein Anflug von Müdigkeit
folgte. Wesendonk wollte noch mal wissen, wann Wärmlands Zug fuhr. Als
Wesendonk hörte, dass der erst am Morgen um fünf Uhr sein Ziel erreichen würde,
hatte er einen Vorschlag parat, der Wärmland ernsthaft ins Grübeln brachte. Er
solle doch nicht die Nacht hindurch fahren, sondern lieber in Eckernförde
übernachten. Seine Tochter habe ein nettes Gästezimmer in ihrer Wohnung, die
gar nicht so weit weg lag.
Wärmland hatte wohl bemerkt, dass Wesendonk Wert darauf legte, seine
Tochter in bestem Licht erscheinen zu lassen. Als wollte er sie möglichst bald
gegen ein paar Kamele eintauschen. Schließlich kam Wärmland aus dem Süden. Da
waren Kamele ja noch immer ein übliches Zahlungsmittel. Er hatte Wesendonks
Absicht also durchschaut. Aber Sandra war ihm keineswegs unangenehm gewesen. Im
Gegenteil. Je mehr der Vater seine Tochter gelobt und je mehr sie sich gegen
die väterlichen Lobeshymnen verwahrt hatte, umso sympathischer war sie ihm
erschienen. Das Angebot, ihr zu folgen und in ihrem Gästezimmer zu nächtigen,
war nur der konsequente und krönende Abschluss dieses Abends. Auch wenn sich
Wärmland zunächst noch ein wenig zierte und darauf hinwies, dass er keine
Umstände machen wolle.
»Sandra vermietet das Zimmer im Sommer an Feriengäste. Aber ab
Herbst steht es in der Regel leer. Dabei ist es ganz süß eingerichtet. Sie
werden sehen.« Wesendonks Augen leuchteten, als habe seine Tochter eben erst
den norddeutschen Innenarchitektenpreis gewonnen.
Wärmland war es nur recht. Seine
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