Tod am Laacher See
entweder vor Spuren
und Hinweisen nur so wimmelte oder in der fast nichts Greifbares zur Verfügung
stand. In Fall »Taucher« war Letzteres der Fall.
Wärmland und sein Team verließen das Präsidium, doch bevor sie ihre
Dienstwagen erreicht hatten, wählte Wärmland die Handynummer seines Sohnes,
denn es war gerade noch die Zeit der großen Pause. Nach nur zwei Klingeltönen
ging sein Sohn ran und zeigte sich erfreut, Wärmland an der Strippe zu haben.
»Toll, dass du anrufst, Papa. Wie haben eben Mathe zurückbekommen.
Rat mal, was ich habe!«
»Na ja, wenn man mildernde Umstände gelten lässt und
berücksichtigt«, Wärmland sprach jetzt bewusst sehr langsam, »dass du wenig
Zeit für Hausaufgaben und Lernen hattest, weil du immer noch am liebsten mit
Förmchen im Sandkasten spielst, dann, so denke ich, könnte es sicher für eine …
nun … eine Drei plus gereicht haben.«
Stefan lachte. »Wie hast du das nur erraten? Nein, das ist ein
Scherz. Ich habe eine Eins minus.«
»Wow!«, kommentierte Wärmland die frohe Kunde, während sich sein
Vaterherz erwärmte. »Das ist ja super. Klasse, eine Eins minus ist richtig gut.
Sozusagen sehr gut mit einem kleinen Schnupfen.«
Stefan lachte kurz. »So hat es noch niemand ausgedrückt. Ich hoffe,
du bist mir jetzt nicht böse, Papa. Aber du sprichst manchmal noch mit mir, als
wäre ich ein kleiner Junge. Dabei bin ich dreizehn.«
»Oh, tatsächlich? Das hat mir deine Mutter verheimlicht. Dabei hab
ich ihr damals klar gesagt, sie soll was nicht Alterndes aus dem Krankenhaus
mitbringen. Stattdessen hat sie dich angeschleppt. Ich hatte ja schon länger so
einen Verdacht, dass du auch so ein verdammter Entwicklungsbalg wirst, der
immer weiter wächst und wächst. Ich wollte dich wegen dieser schrecklichen
Zweier, die du sonst nach Hause bringst, sowieso schon zur Adoption freigeben.
Aber die Eins minus bringt dir Verlängerung.«
»Da bin ich aber sehr erleichtert«, antwortete Stefan frech. »Ich
hatte so was schon geahnt und mir zur Sicherheit einen Termin beim Jugendamt
besorgt.«
»Am liebsten würde ich ja kurz vorbeikommen, dann könnten wir uns
mal drücken«, meinte Wärmland und war auf die Reaktion seines Sohnes gespannt.
»Also Papa, du müsstest eigentlich wissen, dass derartige
Zuneigungsbekundungen für Jugendliche in meinem Alter megapeinlich sind. Ich
schenk dir mal ein Taschenbuch über den angemessenen Umgang mit jungen Menschen
meiner Generation.«
»Du bist ein altkluger Wicht, aber ich hab dich trotzdem lieb. Und
bevor deine Klassenkameraden dich total uncool finden, weil du ewig mit deinem
alten Herrn quatschst, beenden wir jetzt das Gespräch.«
»Keine Sorge, als ich deine Nummer gesehen habe, hab ich denen gesagt,
dass ich kurz ungestört mit meinem Bankmanager reden muss.«
»Verflixter Bengel«, schimpfte Wärmland ins Handy, »seinen Vater zu
verleugnen, rechtfertigt ein Kinderheim.«
»Aber Papa, seinem Kind mit Abschiebung zu drohen, rechtfertigt ein
Altenheim. Und das wäre nur die späte Rache. Wir Jugendlichen von heute kennen
unsere Rechte«, antwortete Stefan.
»Natürlich.« Wärmland seufzte. »Was sollte man von einem
Polizistensohn auch anderes erwarten. Bevor ich mir bei dir noch eine Anzeige
einhandle, gehe ich lieber wieder an die Arbeit.«
»War cool, dass du angerufen hast, Papa.«
»Das nehm ich jetzt mal als
Zuneigungsbekundung. Mach’s gut, mein Großer!«
»Du auch, Papa.«
Wärmland stieg in den Wagen. Gut gelaunt schaltete er das Radio ein,
das auf SWR 1 eingestellt war, Wärmlands
Lieblingssender. Er stand absolut auf die Oldies der Sechziger bis Achtziger.
Gerade lief »Music« von John Miles. Wärmland hatte das Stück schon unendlich
oft gehört, aber es ergriff ihn immer wieder aufs Neue. »Music was my first
love«, summte er leise mit, »and it will be my last.«
Er dachte an seinen Sohn, zwar nicht seine erste Liebe, aber die
einzige, die ihm bisher geblieben war. Wärmland mochte den Gedanken, dass er
auch seine letzte Liebe sein würde. Denn selbst wenn er noch einmal das Glück
haben sollte, eine Frau fürs Leben zu finden – und vielleicht war ja die
Geschichte mit Ariane Althoven der Anfang von etwas Größerem –, an der Liebe zu
seinem Sohn würde das niemals etwas ändern. Melchior hatte recht gehabt: Er
hatte das Richtige getan, als er sich für Mayen entschieden hatte. Stefan war
ganz nah. Und er konnte weiter Vater sein.
***
Wärmland saß gerade wieder auf seinem Bürostuhl,
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