Tod auf der Themse
die jetzt allerdings rotgerändert und überschattet
waren. Ihr Mantel öffnete sich, und er sah ihre schwarze
Witwenkleidung. Sie lächelte Athelstan an.
»Ich entschuldige mich
für meinen Auftritt, aber ich konnte diese Neuigkeit nicht glauben.«
Sie deutete auf die andere Frau, die still wie eine Maus hinter ihr stand.
»Das ist Tabitha Velour, meine Zofe und Freundin.«
Aveline saß immer noch
mit schreckensbleichem Gesicht auf dem Schemel. Emma Roffel ging zu ihr
und berührte sanft ihre Schulter.
»Das tut mir leid«,
murmelte sie. »Wirklich leid.« Sie hob den Kopf und sah
Cranston an. »Wie ist es passiert?«
»Erstochen von seinem
Knappen«, sagte Cranston. »Nicholas Ashby.«
Emma Roffel machte ein überraschtes
Gesicht.
»Es fällt Euch
schwer, das zu glauben, Madam?« fragte Athelstan.
Die Frau schürzte die
Lippen und starrte ihn an. »Ja«, sagte sie langsam. »Ja,
allerdings. Ashby war ein stiller Mann, eher ein Gelehrter als ein Soldat.«
»Aber er fuhr mit Eurem
Gemahl zur See?«
Emma Roffel lächelte
zynisch. »Gott verzeihe mir und schenke ihm die ewige Ruhe, aber Sir
Henry war ein argwöhnischer Mann. Ja, der Knappe Ashby wurde von
seinem Herrn oft beauftragt, darauf zu achten, daß seine
Investitionen auch den angestrebten Gewinn brachten.«
»Und Ihr seid
hergekommen, um Sir Henry vom Tode Eures Gemahls in Kenntnis zu setzen?«
»Jawohl, so ist es.
Aber das hat ja wenig Sinn«, fügte sie mit einem halben Lächeln
hinzu. »Ich nehme an, sie können jetzt selbst miteinander
sprechen.«
»Madam«, bellte
Cranston, »ich muß mit Euch über den Tod Eures Gemahls
reden.«
»Das könnt Ihr
gern tun, Sir. Ich wohne in der Old Fish Street, beim Trinity Square, an
der Ecke der Wheelspoke Alley. Aber jetzt muß ich gehen. Mein Gemahl
liegt aufgebahrt vor dem Altar in St. Mary Magdalene. Sir John, Pater…«
Und Emma Roffel machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Kammer
ebenso dramatisch, wie sie aufgetaucht war.
»Was geschieht jetzt?«
knirschte Marston.
Sir John ging langsam zu ihm.
»Ashby darf vierzig Tage Asyl genießen. Danach hat er die
Wahl: Entweder stellt er sich der Justiz des Königs oder er begibt
sich in den nächsten Hafen und besteigt dort ein Schiff ins Ausland.
Sollte irgendein Versuch unternommen werden…« Cranston
starrte Marston wütend an.
»…irgendein
Versuch, ihn gewaltsam aus St. Erconwald herauszuholen, so werde ich dafür
sorgen, daß die Täter in Smithfield am Strick baumeln. Und
jetzt schlage ich vor, ihr kümmert euch um den Leichnam eures Herrn
und stellt seine Habe sicher. Ich möchte, daß der Dolch
herausgezogen und in meine Kanzlei im Rathaus geschickt wird.«
Cranston drehte sich zu Aveline um. »Madam, bitte nehmt mein Beileid
entgegen. Ich muß jedoch trotzdem darauf bestehen, daß Ihr
hierbleibt, bis meine Untersuchung beendet ist.« Er winkte Athelstan
und ging hinaus.
»Was ist das für
eine Sache mit dem Schiff God’s Bright Light?« fragte
Athelstan, nachdem sie den Hof der Herberge verlassen hatten.
»Wie ich schon sagte«,
erklärte Cranston zwischen zwei Schlucken aus dem Weinschlauch,
»das Schiff liegt auf der Themse vor Anker. Letzte Nacht sind der
Erste Maat und zwei Besatzungsmitglieder während ihrer Wache
verschwunden. Dazu die merkwürdige Sache mit Kapitän Roffels
Tod. Der Mord an Sir Henry Ospring und Nicholas Ashbys Flucht haben das
Wasser noch trüber gemacht.« Er drückte den Stopfen in den
Schlauch und verstaute ihn unter seinem Mantel. »Ich habe Hunger, Mönch.«
»Ich bin Ordensbruder,
und Ihr habt immer Hunger, Sir John«, erwiderte Athelstan. »Ihr
seid also gekommen, um mich abzuholen - wohin?«
»Stromabwärts, zum
Schiff God’s Bright Light. Der Admiral der östlichen Meere, Sir
Jacob Crawley, erwartet uns zu einer Audienz, aber« - Cranston
schnupperte wie ein Jagdhund - »ich wittere Pasteten.«
»Um die Ecke«,
sagte Athelstan müde, »ist Mistress Merrylegs Pastetenladen.
Sie ist die beste Köchin in Southwark.«
Cranston benötigte keine
zweite Aufforderung; er lief los wie ein Windhund. Kurze Zeit später,
während er und Athelstan sich ihren Weg durch die verkehrsreichen,
engen Straßen von Southwark bahnten, kaute Cranston genüßlich
an einer von Mistress Merrylegs schweren, saftigen Rindfleischpasteten.
»Herrlich!«
seufzte er zwischen zwei Bissen. »Die Frau
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